piwik no script img

„Liebe taz...“ Lückenhafte Ostereigeschichte

Betr.: „Leserbrief von Siegfried Albuszies“, taz bremen vom 30.4.2000

Da kommt Freude auf, wenn Herr Albuszies Forschungsergebnisse von 1998 mit „Erkenntnissen“ von 1913 widerlegen will. „The Catholic Encyclopedia“ betete nur das nach, was nach der Aufklärung üblich war: Kirchliche Bräuche hatten im Falle des Ostereis ihren Ursprung bei der kanaanitischen Göttin Astarte.

Erwiesen ist allerdings nix vom „erwiesenenermaßen heidnischen Ursprung“ der Osterbräuche. Die wissenschaftliche Redlichkeit gebietet es daher, Neueres zur Kenntnis zu nehmen, was sich auf Tatsachen und wissenschaftlicheBeweise stützt. Denn wo bitte ist die lückelose Beweiskette vom Ei der Astarte zum Osterei? Da klafft eine Lücke von mindestens 1.500 bis 2.000 Jahren. Aber befassen wir uns nun – wie Herr Albuszies empfiehlt – mit den „Osterbräuchen“ und „deren Herkunft“:

Voilà 1) Unser Osterei hat seine Wurzeln im Mittelalter, als die Bauern noch in Schuldknechtschaft lebten. Am Gründonnerstag wurde mit den Grundherren abgerechnet. Wenn die Bauern alle Abgaben bezahlt hatten, überreichten sie ihrem Grundherrn ein rot gefärbtes Ei als Zeichen ihrer Schuldenfreiheit. Später schenkten sie die gefärbten Eiern ihren Kindern. Daraus entstand der Brauch, zu Ostern Eier zu verschenken.

Das Osterei wurde später – als Produkt der katholischen Fastenordnung – von den Protestanten abgelehnt. „Eier machen keine Ostern“, war der Schlachtruf. Trotzdem tauchen die Eier ab 1700 im städtisch-evangelischen Bürgertum als Teil einer säkularen Festinszenierung im Familienkreise auf, nicht als religiöses Symbol. Selbst im Hause Goethe wurden 1783 Ostereier gesucht.

2) Beim Osterhasen handelt es sich um das evangelische Pendant zum katholischen Osterei, gegen das man nach der Reformationen polemisierte. Exakt diese säkularisierten Osterei brachten die Einführung des Osterhasen mit sich. Der Osterhase ist zudem eine städtische Erfindung. Er beginnt seinen Siegeszug um 1800, verstärkt ab 1900 von der Süßwarenindustrie, nicht jedoch in den Kirchen! Beim Osterei und beim Osterhasen hat man es nämlich mit einem „Brauch ohne Glauben“ zu tun. Wenn Herr Albuszies unbedingt jemanden diffamieren will, dann bitte sehr die bürgerlich-städtische Gesellschaft – nicht die katholische Kirche.

Hiermit käme ihm aber ein liebgewordenes Feindbild abhanden. Ich wage daher zu prophezeien, er wird an seiner geliebten Astarte festhalten wollen. Beweise hin, Säkularisierung her. Halleluja!

Wilhelm Tacke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen