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■ Lido-KinoCinema piccolo piccolo

Lange bevor irgendein Film für Skandale sorgen konnte, hatte, wie berichtet, die gestern angelaufene Mostra di Venezia von sich reden gemacht, weil einige Herren sich aufs schärfste beleidigten. Heiß umkämpft war der Platz des peruanischen Schriftstellers Vargas Llosa in der Jury, in der auch die Regisseure Lynch, Oshima, Verdone, Assayas und Kaboré, die Schauspieler Buy und Thurman und der Kritiker Stratton sitzen.

Der Berater der Biennale, ein gewisser Professor Curi vom Gramsci Institut, hatte Vargas Llosa zunächst vorgeworfen, eine „politisch zu sehr vorbelastete“ Persönlichkeit für ein neutrales Jurymitglied zu sein. Llosa habe in den siebziger Jahren leidenschaftlich das Regime des damaligen peruanischen Präsidenten Delaunde unterstützt, sich dann aber abgewandt, als dieses ihm zu liberal wurde.

Später habe er dann eine weitere Kehrtwende gemacht und sich den reaktionären Kräften angeschlossen. Als alles nicht fruchten wollte, zog der Professor Curi die Schraube an und warf Llosa kurzerhand vor, Faschist zu sein und mit entsprechenden Kräften in seinem Heimatland paktiert zu haben.

Recht trocken versetzte darauf der Festivalleiter Gillo Pontecorvo, man habe mit Vargas Llosa einen international renommierten Schriftsteller und Nobelpreisträger geladen, der im übrigen auch schon auf anderen Festivals Juror gewesen sei (beispielsweise auf der Berlinale vor zehn Jahren).

Sein Präsident Gianlugi Rondi hingegen retournierte kühn, Curi solle die Jury nicht mit dem Sicherheitsrat verwechseln. Daraufhin hatte sich wiederum der Regisseur Franco Zefirelli zu Wort gemeldet, der übrigens Mitglied der Forza Italia ist, und gefordert, das gesamte Festival „auf dem Boden der Adria zu versenken“. Wie auch Cannes litten inzwischen alle Festivals an künstlerischer Mittelmäßigkeit, was man an jemandem wie Nanni Moretti, einem „autore piccolo piccolo“ sehen könne, der ein „cinema piccolo piccolo“ mache. Oha.

Vargas Llosa hat sich mittlerweile gegen die Vorwürfe Curis mit dem Argument gewehrt, es handele sich bei dem Mann um einen Stalinisten. Er selbst sei eben so frei gewesen, sich ein paar Mal in seinem Leben zu irren. In der Tat ist nicht so recht einzusehen, warum jemandem, der während seines Studiums Marxist war, der sich später – im Gegensatz zu Gabriel Garcia Marquez – auch mit Fidel Castro und Pinochet anlegte, wenn es um die Rechte Oppositioneller ging, nicht zugestanden werden sollte, später ein Rechtsliberaler zu werden, der sich seine Präsidentschaftskandidatur 1990 von den Banken finanzieren ließ. Daß er gegen die Aufständischen in Chiapas mit dem Argument wetterte, es seien Stalinisten/ Terroristen, macht ihn auch nicht zum Faschisten, sondern bestenfalls doch wohl zu jemandem, der die eigenen Enttäuschungen nicht auf besonders rationalen Wegen prozessiert hat.

Er werde seinen Posten auf jeden Fall antreten, versicherte Vargas Llosa, es sei denn, Pontecorvo bittet ihn, sich zurückzuziehen. Pontecorvo hat natürlich einen Teufel getan.

Angesichts der Leichtgewichtigkeit der ausgetauschten Argumente kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, es handele sich um ein Spiegelfechten, in dem eifrig darüber hinweg agiert werden soll, daß von Berlusconi und der Ära, in der die Mostra nun stattfindet, nicht mehr die Rede ist. Ist Llosa ein Strohmann, auf den man einschlägt, um in solcher Vorwärtsverteidigung ein Stück eigener Bedenken niederzukämpfen? Morgen Näheres zum Programm.

Mariam Niroumand

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