Lichtspiele: Megäre haut Buben
■ Warum Lachfilme nicht dem Humanum verpflichtet sind, sondern oft misanthropische Züge haben
Chaplin hat merkwürdigerweise keine große Rolle in unserem Kino gespielt (ich mag ihn bis heute nicht sonderlich, er ist mir zu sentimental). Aber Dick & Doof lief immerzu in der Kindervorstellung, Pat & Patachon, Abbott & Costello; Bob Hope und Bing Crosby in den „Road to ...“-Filmen, auch Jerry Lewis & Dean Martin: Wir Achtjährigen liebten diese Lachfilme mit Männerpaaren, vielleicht nicht zuletzt deshalb, weil uns das Mysterium des Weiblichen im tieferen Sinne noch verschlossen war („Mädchen sind doof“). Die Mädchen fanden uns genauso doof, insofern war alles in Butter.
So eine fixe Idee dieser Genre- Kolumnen ist ja, daß fürs Kino die Codierung Kind/Erwachsener wichtig ist, daß das Kino selbst etwas Kindlich-Kindisches hat, das man gegen die Erwachsenen (Erzieher, Theoretiker) verteidigen muß. Dies tut der Lachfilm als Genre, aber sogar die Männerpaare lassen sich nach diesem Schema ordnen: Hardy und Abbott und Crosby sind die Erwachsenen, Laurel und Costello und Hope die Kinder.
Wobei letztere nicht die prinzipiell Unterlegenen sind, sondern manchmal sogar übersinnliche Kräfte besitzen: Stan beispielsweise, der seinen Daumen als Feuerzeug benutzen kann, oder Jerry, der mit seiner Quäkstimme Glas zerspringen läßt.
Einem Achtjährigen gefällt so etwas sehr gut.
Und natürlich auch, daß Frauen in diesen Lachfilmen meistens Störenfriede sind, denn sie gehören zur Welt der Erwachsenen: Wenn Stan und Ollie verheiratet sind, leben sie in Angst und Schrecken vor ihren megärenartigen Ehefrauen, die sie herumkujonieren und zu strebsamen, gutverdienenden Bürgern machen wollen; praktisch genauso wie die eigene Mutter, denkt der Achtjährige.
Das Ewigweibliche zieht uns hinan: Aber gerade das wollen wir ja nicht, wir wollen Spaß haben und kaputtmachen – kleine Biester, die sich tortenwerfend („subversiv“) gegen die Obrigkeit zur Wehr setzen. Und die Inkarnation der Obrigkeit ist Mitte der fünfziger Jahre nicht der Polizist (wie für Chaplin), nicht der Vater (der hatte den Krieg verloren und nichts zu sagen), sondern die Frau in Gestalt der Mutter. Deswegen sind Lachfilme oft misogyn, die besten jedenfalls.
Nichts gegen Frauen! Einige meiner besten Freundinnen sind Frauen, aber ich kann doch nichts dafür, daß W. C. Fields und die Marx-Brothers die komischsten Filme aller Zeiten gemacht haben, und deren Menschen- bzw. Frauenfeindlichkeit ist notorisch: „Whatever it is, I'm against it“, singt Groucho aus voller Seele; und das Humanum in Gestalt der Liebesgeschichtennebenhandlung in „Duck Soup“ und „Animal Crackers“ und all den anderen Meisterwerken akzeptieren wir nur, weil Harpo blonde Zimmermädchen jagen und Groucho Margaret Dumont, die schlechthinnige Mutter als Matrone, niedermachen darf.
Womit wir beim Geheimnis der Lachfilme angekommen sind: Nicht die Frau als solche ist das Problem, sondern die Liebe. Liebe zivilisiert; Liebe ist das Band, das dich hindert, ohne Rücksicht auf andere deinen Wünschen und Gelüsten nachzufolgen. Wenn du liebst, bist du nicht mehr allein, bist du gefesselt, kannst du nicht mehr schrankenlos dem Lustprinzip frönen und tun, was dir beliebt. Der Lachfilm ist polymorph-pervers, und deswegen sind Liebesgeschichten hier eher ein Störfaktor.
Das mag ja alles für Slapstick gelten, aber was ist beispielsweise mit „Bringing Up Baby“ von Howard Hawks, diesem ultimativen Screwballfilm? Eine gute Frage. Aber Halliwell hilft weiter: „Outstanding crazy comedy which barely pauses for romance“ – aha, Liebe spielt dort ja tatsächlich kaum eine Rolle! Das Verhältnis von Hepburn und Grant ist dem der Slapstick-Männerpaare ganz ähnlich, es ist ein Katastrophenverhältnis, ein Kleinkrieg, auch und gerade zwischen den Geschlechtern, und damit wären wir wieder bei den Theorien der Achtjährigen gelandet („Mädchen bzw. Jungs sind doof“).
Es gibt noch einen weiteren Grund, warum Liebe und Lachfilm nicht recht zueinander passen: Das Schema von Liebesgeschichten ist so strukturbildend, daß für eine erzählerische Anarchie, das spontaneistische Durcheinander des Lachfilms zuwenig Platz bleibt. Boy meets girl, boy loses girl, boy findet girl wieder: schön und gut, aber das dauert, und nachher ist keine Zeit mehr fürs Tortenwerfen!
In Lachfilmen ist der Plot ein Vorwand, interessiert sind wir an den vaudeville routines, deren schönste bei den Marx-Brothers zu finden sind: in „Duck Soup“ die Spiegel-Szene und dieser ungeheuerliche Kleinkrieg zwischen Chico als Erdnußverkäufer und dem Limonadenmann; oder in „A Day at the Races“, wenn Chico („Get your tootsie-fruitsie ice cream“) Groucho am Wettschalter das code book, das master code book, den Breeder's guide usw. verkauft; oder das berühmte cross-talking aus „Cocoanuts“, wenn die bloße Erwähnung eines Viadukts zu einem zehnminütigen Wortwechsel zwischen Groucho und Chico führt, der stur darauf beharrt, alles verstanden zu haben, nur nicht: „Why a duck, why not a horse?“
Oder die Billard- und Jonglier- Routines bei W. C. Fields, sein „It ain't a fit night out for man nor beast“ aus „The Fatal Glass of Beer“, und dann kriegt er die Ladung Schnee ins Gesicht – wer diese Filme nicht kennt, der langweilt sich jetzt vielleicht ein bißchen, aber erstens: „All the jokes can't be good, folks“, sagt Groucho; und zweitens: Wer kann denn schon Oliver Hardys „tie twiddle“, dieses Fummeln an der Krawatte, wenn er aufgeregt- durcheinander ist, beschreiben, oder seinen berühmten langgezogenen Leidensblick in die Kamera? Also.
Und was ich alles nicht erwähnt habe: Harry Langdon und Buster Keaton, Fatty Arbuckle und die Keystone Cops; und was ist mit „Hellzapoppin“ und Woody Allen und den Zucker- Abrahams-Filmen? Und überhaupt, dieses Herumgereite auf polymorph-pervers, anarchistisch, Misanthropie, Zerstörungslust – was ist mit dem Tanz von Stan und Ollie in „Way Out West“ und den Musikeinlagen von Harpo und Chico? Sind die nicht von solch überirdischer Schönheit und Harmonie, daß sogar wir bösartigen Achtjährigen stille werden und dunkel ahnen, daß es noch etwas anderes gibt als Verfolgungsjagden, Tortenwerfen und Kaputtmachen? Daß es so etwas gibt wie Zärtlichkeit, ja: Liebe?
Für die Hartgesottenen, die diesen sentimentalen Chaplin- Schluß ablehnen, sei W. C. Fields zitiert: „Wer kleine Kinder und Hunde haßt, kann nicht ganz schlecht sein.“ Kurt Scheel
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