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Archiv-Artikel

Letzte Hoffnung Rotbauchunke

taz-Serie „Gelebte Utopien“ (Teil 5): Zu DDR-Zeiten sollte Lakoma dem Tagebau weichen. Die Menschen wurden umgesiedelt. Nach 1989 schien der Ort in der Niederlausitz gerettet. Junge Leute kamen, mit Utopien vom Leben im Einklang mit der Natur. Jetzt kämpfen sie wieder gegen die Kohlebagger

VON WALTRAUD SCHWAB

Viel ist nicht mehr übrig von Lakoma, dem Dorf in der Lausitz unweit von Cottbus. Nur sechs Häuser stehen noch. Eins am Eingang zu den Fischteichen, die anderen fünf rechts der ehemaligen Dorfstraße. Links davon wuchert Unkraut über die abgerissenen Gehöfte. Dem Braunkohletagebau fielen sie zum Opfer. Kaum waren ihre Nutzungsverträge im vergangenen Herbst ausgelaufen, machte sie Vattenfall, der schwedische Energiekonzern, dem der Lausitzer Tagebau seit knapp zwei Jahren gehört, dem Erdboden gleich. „Vorfeldberäumung“ nennt der Konzern das. „Tatsachen schaffen“ nennen es die Gegner. Das Storchennest auf den Hochpfählen ist die einzige Behausung, die dort, wo die zerstörten Häuser samt Kulturscheune standen, noch bewohnt wird. Zwei Alte und zwei Jungvögel halten die Stellung.

Lakoma ist im Weg. Seit 1983 ist das so. Der Braunkohletagebau fordere seine Opfer, so das Credo der Politik. Jahrelang hatten sich die 200 Bewohner und Bewohnerinnen des sorbischen Dorfes gegen die Zerstörung ihrer Gemeinde gewehrt. Schon zu DDR-Zeiten. Sie wollten nicht in einem See verschwinden, der einmal, in 30 Jahren vielleicht, zum Baden einlädt. Den See, den hatten die Lakomaer doch schon. In einem der Teiche durften sie baden. Warum also das Dorf, das direkt am Rand des ausgewiesenen Tagebaus lag, nicht verschonen? Das Politbüro blieb hart, deshalb gaben die Lakomaer am Ende nach, verkauften ihre Häuser und gingen. Das Dorf verwaiste.

Die politische Wende 1989 kam als Chance daher, für die Natur in den Tagebaugebieten und für die Dörfer. Zumindest eine Zeit lang schien es, als habe das Umgraben der Lausitz gegen den Willen der Menschen ein Ende. Auch für Lakoma wurden Landschaftspläne erstellt, die den Tagebau um die Teiche herum planten, und die leer stehenden Häuser mit ihren Obstgärten, Wiesen und Pferdeweiden wurden von jungen Leuten entdeckt. Weil alles offen war, ließ die Tagebaugesellschaft den „Lakoma-Verein“ die Gebäude im Dorf zwischennutzen. Urbane Abenteurer, Künstlerinnen, Umweltschützer, Studentinnen, Idealisten und Menschen auf der Suche nach dem einfachen Leben waren begeistert von der großzügigen Natur des Ortes. Anfang der 90er-Jahre richteten sie sich ein in einem Interimsalltag ohne fließendes Wasser und Strom. Zehn Jahre durften die neuen Lakomaer laut Vertrag bleiben. Sie nutzten die Zeit gut, denn sie entdeckten das landschaftliche Kleinod vor ihrer Haustür und machten sich zum Sprachrohr für seine Rettung. Ihre Utopie: „Selbstverwirklichung nicht gegen, sondern mit der Natur.“

Jeder in Lakoma setzt seine Träume um, so gut er kann. René Schuster zum Beispiel. Der Naturschützer ist Radiomoderator für sorbische Jugendsendungen. In den Erzählungen seiner Eltern und Großeltern tauchten schon verschwundene Wälder auf. Oder Ralf Röhr. Eigentlich wollte er Architekt werden, bis er auf seinen Reisen nach Russland entdeckte, dass einer gleichzeitig entwerfen und bauen kann. Heute steht sein eigenhändig errichtetes sorbisches Holzhaus im Ort. Dazu meterhohe Skulpturen, entstanden im Austausch mit Bildhauern aus Ost- und Westeuropa. Eine russische Holzkapelle hat Röhr vor kurzem auch errichtet. Sie steht nun in Cottbus, denn in Lakoma dürfe nichts Neues mehr aufgestellt werden, sagt Vattenfall. Ein anderer Aktivist ist Daniel Häfner. Der Informatikstudent koordiniert die „ungewöhnlichen Maßnahmen“. Gemeint sind damit Protestformen. Die werden auch gebraucht.

Hinter dem Dorf liegen die 24 Lakomaer Teiche. Unzählige bedrohte Kleintierarten tummeln sich in der 30 Hektar großen Gewässerlandschaft. Zur Karpfenzucht wurden sie angelegt vor 200 Jahren, genau wie der Hammergraben, ein künstlicher Fluss, der von der Spree abgezweigt wurde, um die Teiche zu fluten. Mittlerweile allerdings hat die Natur sich diese Kulturlandschaft zurückerobert. Flora und Fauna mit einem Liebreiz, der Romantik in die Jetztzeit transponiert, sind entstanden. Alles ist wild-gezähmte Auenlandschaft, in der sich Schilfrohrsänger, Dommeln, Eulen, Wiedehopfe, Eisvögel, Otter tummeln. Rund 170 bedrohte Tierarten gibt es hier, schätzt René Schuster. Er zuckt mit den Schultern: „Die Zahl ist nur geschätzt. Allein 50 Käferarten wurden hier entdeckt.“

Aus den Teichen wurde über die Jahrzehnte ein Biotop, das den Ort Lakoma landschaftlich wertvoll macht. Warum Vattenfall, aber auch die Brandenburger Landesregierung und selbst die Kommune Cottbus, zu der Lakoma gehört, dennoch dafür sind, eine solche Idylle in einem bis zu 40 Meter tiefen, 16 Quadratkilometer großen See untergehen zu lassen, versteht nur, wer Bäume, Tiere und Pflanzen nicht in geldwerte Beträge umrechnet.

Die gewaltigste Hoffnung der nunmehr verbliebenen etwa zwanzig Lakomaer gilt den Rotbauchunken. In den Teichen hat sich die größte europäische Population der vom Aussterben bedrohten Amphibie angesiedelt. In der Brunft bläst sie sich wie ein Ballon auf und bringt so ihr rotes Punktmuster erst voll zur Geltung. Die kleine Unke und der Eremit, ein schwarzer, fast ausgestorbener Riesenkäfer, sind die Davids, die sich gegen den Goliath Vattenfall stellen.

Vattenfall und die Landesregierung haben bei der Planung des Kohleabbaus unter Lakoma ein paar Verfahrensfehler gemacht. Dass Rotbauchunke und Eremit hier heimisch sind, das hätte bei der EU in Brüssel als Flora-Fauna-Habitat gemeldet werden müssen. Auch bei der Planung der Ausgleichsmaßnahmen, mit denen versucht wird, dem Getier auf der anderen Seite der Spree eine neue Bleibe zu schaffen – ganz nach dem Motto: Die Unken werden schon umziehen –, gibt es Mängel. Ob sich die Bagger davon aufhalten lassen, ist eine andere Frage. Derzeit sieht es so aus, als wolle Vattenfall Tatsachen schaffen und hinterher erst bereuen. Aus dem Fenster eines der noch intakten Häuser hängt die Regenbogenfahne der Kriegsgegner heraus. „PACE“ steht darauf.

Aus Sicht der wenigen Leute, die noch in Lakoma leben, und nach Meinung der Umweltverbände sind bis heute nicht alle rechtlichen Möglichkeiten zur Rettung des Landstrichs ausgeschöpft. „Wir sind hier, weil das Dorf wachsen soll“, sagt Röhr, der Zimmermann, der alte handwerkliche Techniken des Hausbaus reaktiviert. Seit fünf Jahren ist er in Lakoma, und er möchte so lange hier leben wie nur irgend möglich.

Vattenfall, das sich als Eigentümer des Dorfes versteht, scheren solche Überlegungen wenig. Die Nutzungsverträge für fünf der sechs Gehöfte laufen im Juni nächsten Jahres aus. Dass der Konzern die Häuser nach diesem Ultimo dem Erdboden gleichmachen will, hat einen einleuchtenden Grund: Die Bewohner müssen weg, denn sie tragen das Wissen um die Besonderheit des Ortes an die Öffentlichkeit. Solange sie hier sind, sind sie Lobbyisten für die Erhaltung des Naturschutzgebietes. Aus Sicht des Goliath ist klar: Die Leute stören.

Ungachtet aller Unkenrufe ist dies der richtige Moment für den Lakoma-Verein, jetzt erst recht seine Utopien einzufordern: Das Erholungsgebiet, das die Teiche ohnehin immer schon waren, soll erhalten bleiben, das Dorf selbst soll wieder aufgebaut werden. Nicht als Museum, sondern als ein innovativer Ort, der die Zusammenhänge zwischen gewachsener und künstlicher Natur sichtbar macht, schreiben sie. Eine Synthese zwischen Tagebau und Umweltschutz soll hier entwickelt werden, Holzbauwerke in traditioneller Technik sollen gebaut werden. Das Dorf will eine Schule des Alltags sein, in der Kultur, Natur, Gesundheit, Ökologie und Ökonomie verstanden werden. „Witayśo!“, Willkommen!, steht auf Sorbisch an einer Wand und: „Rettet Lakoma!“