■ Lesetip: Vom Fressen und Saufen
„Du mußt einmal damit dein Brot verdienen können“, pflegte mein Vater zu sagen, wenn meine Berufswahl zur Sprache kam. Messerscharf erkannte er Ziel und Zweck der Arbeit: Der Mensch muß essen und trinken.
Die Originalausgabe des jetzt ins Deutsche übersetzten und überarbeiteten Lehrbuches „Die Psychologie des Essens und Trinkens“ erschien 1986 in den USA. Alexandra W. Logue, Professorin für Psychologie in New York, stellt darin die Ergebnisse der Ernährungspsychologie zusammenfassend dar. Das Buch handelt von allen im Zusammenhang mit Essen und Trinken erdenklichen Aspekten: den möglichen Einflußfaktoren auf die Menge der aufgenommenen Nahrung, dem Einfluß von Nahrungsmitteln auf das Verhalten, Essen und Trinken und Schwangerschaft und Rauchen, nationale Küchen und Weinproben. Ein spannendes Thema, sollte man meinen, aber das Buch hat Schwächen, die darin begründet liegen, daß es als Einführung ins Studium gedacht ist. Ohnehin sei Tierversuchsgegnern von der Lektüre abgeraten. Logue macht kein Hehl daraus, daß „viele der in diesem Buch vorgestellten Befunde in Tierversuchen“ erhoben wurden. Sie schreckt auch nicht davor zurück, einige recht widerliche Versuche wie z. B. die Ösophagotomie (Verlagerung der Speiseröhre nach außen), die intragastrisches Füttern ermöglicht, detailliert zu schildern. Und wer hätte gedacht, daß Ratten, die man permanent in den Schwanz zwickt, mit streßinduziertem Fressen reagieren?
Die Positon, die das Buch vertritt, „ist eine naturwissenschaftliche Sicht, die Annahme, daß das Verhalten als Folge von genetischen und Umwelteinflüssen vollständig erklärt werden kann“. Das ist als Warnung zu verstehen, denn auf den nächsten 400 Seiten folgen mitunter recht lange Erörterungen verschiedenster wissenschaftlicher Ansätze. Dabei wird der interessierte Laie, für den das Buch, laut Vorwort, geeignet ist, das Gefühl nicht los, daß der unerträgliche Wissenschafts-Nominalstil dazu dient, einen großen Staubwirbel zu verursachen, der die Tatsache kaschiert, daß man eigentlich nichts Genaues weiß. Das Werk ist von Bild der Wissenschaft in der Rubrik „Das informativste Buch“ zu einem der Wissenschaftsbücher des Jahres 1995 gekürt worden. Nun gut, informativ mag es sein, es ist aber auch langweilig. Alexandra Seitz
Alexandra W. Logue: „Die Psychologie des Essens und Trinkens“. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1995, 520 Seiten, 58 DM
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