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LeserInnen zum Thema „Macht mehr Kinder“Starre Gesellschaftsstrukturen

betr.: „Viel Job, wenig Liebe“, „Und ich wollte vier“, taz vom 2. 2. 01

Unverständlich ist, warum die Abnahme der Geburtenrate als Problem und nicht als Segen aufgenommen wird. Unter Experten wird gerade diskutiert, ob die Erdölvorräte noch zehn oder doch noch 20 bis 30 Jahre reichen, menschenleere Ökosysteme finden sich nur noch in Wüsten. Weniger Kinder ergibt schlichtweg die beste Ökobilanz überhaupt. Und je mehr die Industrieländer mit ihrem Ressourcenverbrauch vorangehen, dann umso besser. Bis hoffentlich die Entwicklungsländer in wenigen Jahrzehnten dem Trend folgen. VOLKER MÜLLER

Hier in Japan erlebte ich einen Vater, der von seinem zweijährigen Sohn mit Brei unter Beschuss genommen wird, hinter seiner Zeitung in Deckung geht und hilflos nach seiner Frau ruft, auf dass sie ihren Sprössling bändige. Der Mann sieht seine Familie nur an Wochenenden.

In Deutschland kenne ich den Fall, dass ein Vorgesetzter seinen heutzutage zwar als „Mitarbeiter“ bezeichneten, aber immer noch als Untergebenen behandelten Untergebenen zu Überstunden auffordert. Als der auf seine Familie hinwies, kam die Antwort des Chefs: „Das nützt dir nichts, wenn du deinen Kinderchen über den Kopf streicheln kannst, aber deinen Job verlierst.“ In einer globalen Wirtschaft müsse man sich auch nach der japanischen Konkurrenz richten.

Und was haben die beiden Länder nun davon? Immer weniger, dafür aber schon von Anfang an neurotische Kinder.

GÖTZ KLUGE, Tokio, Japan

Liebe Anna Blomberg,auch ich habe mich nicht bewusst planend für oder gegen Kinder entschieden, wurde aber in einem sehr kinderfreundlichen Land schwanger (in dem ich bereits zwei Jahre als „Freiwillige“ gearbeitet hatte). So fiel mir die Entscheidung für Kind und Ausbildung leichter, als ich es mir wohl hier gemacht hätte. Mit 22 Jahren bekam ich meine älteste Tochter allein erziehend in Jerusalem, im gleichen Herbst begann ich das Soziologie-Studium in Berlin. Nach Umzügen und Studienortwechsel, um Kinder und Ausbildung samt Partner leben zu können, lebe ich nun auf einem Dorf nahe Braunschweig: Vier Kinder habe ich, die Magisterarbeit jetzt nach zehn Studienjahren abgegeben, wissenschaftliche Mitarbeiterin wäre ich gern – vergleichbare 34 Jahre jung. Meine ebenfalls zwei jüngeren Brüder haben mich ausbildungsmäßig – kinderlos – überholt.

Meine Studienerfahrung lässt auch mich Teilzeit fordern: Für beide Eltern Zweidritteljobs wäre ideal inklusive der finanziellen Aufwertung der erzieherischen täglichen/nächtlichen Leistungen. Noch bedeutet Elternschaft, die „Drahtseilbiografie“ zu wählen, unter täglicher Erneuerung der selbst gespannten Auffangnetze. Auch wenn Familie „soziale Geborgenheit“ in einer immer undurchsichtigeren globalen Erwerbswelt bedeuten kann, ist dies kein Selbstläufer, sondern erfordert täglich wieder Rückgrat. Messlatte unserer Gesellschaft ist nun einmal der berufliche Erfolg – das spüren heute besonders die hoch qualifizierten jungen Frauen. Das „entweder Familie oder Beruf“ zu durchbrechen, wäre eine Zukunftsvision, um das „sowohl als auch“ anzudenken . . . doch die Vielfalt von Lebensentwürfen zu akzeptieren fällt schwer, denn dies würde in der Konsequenz auch mit der „Vollzeitfixierung“ auf den Beruf brechen müssen.

ANNETTE BARTSCH, Königslutter

Unsere Erwerbsgesellschaft basiert auf einem festen Modell: Ein Mann steht seiner Firma zu 100 Prozent oder durch Überstunden sogar noch mehr, absolut verlässlich zur Verfügung. Hat er Familie, kümmert sich die Frau um die Kinder, den Haushalt und bietet dem Mann den seelischen Rückhalt, dessen Fehlen, wie im Artikel beklagt wird, emotional riskant sein kann. Alles Dinge, für die der Mann in seiner totalen Eingebundenheit in den Beruf keine Zeit hat. Oder die Frau ist allein erziehend, und da ist mir aus meinem Bekanntenkreis kein Fall bekannt, in dem sich der Vater des Kindes auch nur annähernd angemessen, und darunter verstehe ich zu 50 Prozent an der Erziehung und vor allem Versorgung des Kindes beteiligt.

Bei den qualifizierteren Frauen, das heißt bei denen, die bildungstechnisch die Möglichkeit haben, sich kritisch mit ihrer Situation auseinander zu setzen, hat sich etwas getan. Sie sind nicht mehr bereit, den oben beschriebenen Part in unserer Gesellschaft zu übernehmen und damit auf beruflichen Erfolg und damit gekoppelten Verdienst und Einflussmöglichkeit zu verzichten. Bisher werden nur drei Prozent des Erziehungsurlaubs von Männern wahrgenommen. Strebt eine Frau beruflichen Erfolg an, bleibt ihr nur die Wahl der Doppelbelastung oder die, keine Kinder zu bekommen. Eine kinderfreundliche Politik hieße, an den noch immer starren Gesellschaftsstrukturen mutiger zu rütteln und die Männer zu 50 Prozent Familienarbeit, zum Beispiel über einen Pflichtanteil am Erziehungsurlaub, zu verpflichten. Alles schon 100 Mal gesagt worden, was ich hier schreibe, aber die Angst vor einer gesellschaftlichen Veränderung in diese Richtung scheint so groß zu sein, dass ständig daran vorbei diskutiert wird, obwohl, wie ich finde, die Lage der Dinge klar wie Kloßbrühe ist.

INA SCHULZE, Tübingen

[...] Es ist erstaunlich, dass eine Frau zu erwähnen vergisst, dass in unserem Land das zweite Kind als Armutsrisiko angesehen wird. Selbst das ZDF hat nachgewiesen, dass ein Kind mindestens 900 Mark pro Monat kostet und die Mutter deshalb mit dem ersten Kind 2.000 und mit jedem weiteren Kind weitere 1.000 Mark bekommen sollte. Bei diesen Kosten sind alle zwei oder drei Jahre 30 Mark mehr allenfalls ein Inflationsausgleich, aber keinesfalls eine Nachbesserung. WOLFGANG FABRICIUS, Berlin

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die veröffentlichten LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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