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LeserInnen diskutieren die FamilienpolitikRechnen sich Kinder?

betr.: „Nach der Pflege ist die Rente dran“, taz vom 17. 4. 01

[...] Familien mit Kindern sind nicht deshalb arm, weil Vater Staat und die Sozialversicherungsträger sie so schlecht behandeln, sondern weil viele von ihnen nach dem guten alten patriarchalen Ernährermodell funktionieren, das heißt: Die Frau steigt beim ersten Kind aus ihrer Erwerbsarbeit aus, manchmal sogar auch dann, wenn sie den besser bezahlten Job hat. Das Armutsrisiko für Menschen mit Kindern ließe sich in den Griff bekommen, wenn Kinder und Karriere für Frauen wirklich vereinbar wären.

Das aber hieße: flächendeckende, ganztags geöffnete, kostenlose und gute Betreuungsangebote für Kinder aller Altersstufen. Das würde Frauen entlasten, die sozialen Fähigkeiten von Kindern fördern und wahrscheinlich sogar eher zu einer erhöhten Geburtenrate führen als die kaum verbrämte Gebärprämie von 1.000 Mark Kindergeld à la Kirchhof.

Alle Formen der direkten Subventionierung von Familien unterstützen die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern: Vati verdient das Geld und spielt sich entsprechend auf – kein Mensch kontrolliert, ob er das Kindergeld für ein neues Auto oder einen neuen Computer auf den Kopf haut; Mutti bleibt auf Küche und Kinderzimmer beschränkt. CLAUDIA PINL, Köln

Ich halte vor allem den rassistischen Ansatz der neu entdeckten Familienpolitik für unerträglich. Warum muss hier für viel Geld die Kinderproduktion angekurbelt werden, wenn gleichzeitig in manchen Gegenden der Welt Kinder zu tausenden verhungern und ihre verzweifelten Eltern nur mit den perfidesten Maßnahmen von einer Zuwanderung abgehalten werden können?

Unsere stolze Leitkultur inklusive der Zahlungen in die Rentenkasse kann auch von dunkelhäutigen Deutschen gepflegt werden.

ROLF MÜLLER, Trennewurth

betr.: „Geld her oder zeugen“, taz vom 19. 4. 01

Lustiger Artikel! Wäre doch schön, wenn das Leben so einfach wäre: Mütter bleiben zu Hause, für jedes Kind gibt’s 600 Mark Erziehungsgeld; Eltern freuen sich, dass sie ausschließlich im August Urlaub machen können und müssen nie in Schichten oder an Feiertagen arbeiten. Wirklich lustig, wie da das Weltbild einfach denkender Menschen auf die Schippe genommen wird. Amüsiert:

FRANK ROGLER, Oberschleißheim

Der liebe Herr Köpf hat bei seiner Gegenüberstellung noch etwas vergessen: Wer macht in den Behörden und den Firmen denn zur Zeit Karriere? Es sind diejenigen, die jederzeit überall einsetzbar sind, weil sie keine Rücksicht auf Kinder nehmen müssen. Wer alle drei Jahre den Dienstort wechseln muss (Beamter im Auswärtigen Amt), kann ein Lied davon singen, wie schwer ein Schulwechsel ist und wie dies die Kinder negativ beeinflusst. Gleichzeitig sehe ich, wie die so benachteiligten Kinderlosen Karriere machen, weil sie die Personalabteilungen nicht mit ihren Problemen der Kinder und der Schule (und der Berufstätigkeit ihrer Ehepartner) belasten. Diese Kinderlosen werden später wesentlich höhere Pensionen oder Renten bekommen, weil sie wegen ihrer Kinderlosigkeit schneller Karriere machen.

WOLFGANG MÖSSINGER, Moskau

[...] Noch rutscht ein stolzes Elternpaar nicht automatisch in die Lohnsteuerklasse 3. Das ist ein Privileg der Verheirateten, nicht der Eltern! Schön auch, was Köpf als „geschickte Familienplanung“ bezeichnet: Wenn man mal so richtig dicke Kohle haben will, wirft man die Kleinen am besten im Ein- bis Zweijahresrhythmus – es lohnt sich.

Und die Eltern, die weniger verdienen als das „Musterpaar“, haben ebenso wenig automatisch Anspruch auf Sozialhilfe, Wohngeld oder andere finanzielle „Erziehungsbeihilfen“. Wir zum Beispiel nicht. Wie konnte es nur passieren, dass ich an Heiligabend Dienst hatte, wie auch mein wilder Ehemann an so manchem Feiertag zur Post wackelt – wir haben doch ein Kind! Die Vorstellung, sich aufgrund finanzieller Vorteile für Kinder zu entscheiden, ist nicht nur in der gegenwärtigen Situation lächerlich; laut OECD verkonsumiert das deutsche Durchschnittsverdienerehepaar mit zwei Kindern, ein Musterpaar sozusagen, 78 Prozent dessen, was einem deutschen Durchschnittsverdienerehepaar ohne Kind zur Verfügung steht. Was für eine groteske, schlampig recherchierte Rechnung!

Wir lächelten über diesen überflüssigen Artikel, weil wir zufällig die Eltern der besten Tochter der Welt sind, die mit keinem Geldvor- oder -nachteil der Welt auf- oder abzuwiegen ist. Aber auch für sie würde die einzige Krabbelgruppe am Ort 710 Mark kosten, halbtags. Name ist der Redaktion bekannt

[...] Köpf rechnet vor, dass eine Familie mit zwei Kindern und einem Einkommen von 5.000 Mark brutto 380 Mark Lohnsteuer zahlt. Richtig. Aber diese Vergünstigung hat auch (unbegreiflicherweise) ein kinderloses Ehepaar! Beim Erziehungsgeld hat er sich offenbar darauf verlassen, dass er irgendwann mal was von „600 Mark monatlich“ gehört hat. Wahr ist, dass das Erziehungsgeld im ersten halben Lebensjahr bei einem jährlichen Familieneinkommen von 100.000 Mark 600 Mark im Monat beträgt. Danach allerdings bekommt dieses Geld nur, wer nicht mehr als zirka 42.000 Mark Jahresfamilieneinkommen hat. Köpfs vierköpfige Musterfamilie liegt mit 5.000 Mark brutto monatlich weit über dieser Grenze.

Die Tatsache, dass das Ehegattensplitting und die kostenlose Mitgliedschaft von arbeitslosen Ehegatten in der gesetzlichen Krankenversicherung anachronistische Relikte einer vergangenen Familienpolitik sind, sollte Herrn Köpf nicht dazu verleiten, gegen die notwendige und auch gerechte Unterstützung von Familien zu polemisieren. JÖRG WELKE, BERLIN

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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