■ LeserInnen-Reaktionen zum Parteitagsbeschluss der Grünen in Rostock: In den Krieg getrieben
betr.: „Endlich Klarheit“, taz vom 26. 11. 01
Der Kommentar von Bettina Gaus ärgert mich deshalb, weil sie weder die richtigen Fragen noch die richtigen Vergleiche noch die richtigen Forderungen gestellt hat. Ein pazifistischer Kommentar darf auch zynisch sein, er muss aber auch nachvollziehbar auf unsere Zeit anwendbar sein. Wo ist denn die Forderung nach einer starken UNO und einer Weltpolizei, nach Abschaffung der Wehrpflicht und Einführung einer deutschen Berufsarmee? Nichts! Stattdessen wird ein deutscher Angriffskrieg auf Somalia prophezeit. Bullshit! [. . .]
Die Deutschen haben sich von ihrer Geschichte, vom Dritten Reich emanzipiert, ohne diese nur im Ansatz totzuschweigen oder zu vergessen. Die Deutschen übernehmen heute Verantwortung im Namen der Menschlichkeit der Freiheit und des Friedens, genau wie es vor 60 Jahren die Alliierten getan haben, als sie das deutsche Volk von den Faschisten befreiten. Und das, liebes taz-Team und Frau Gaus, und das ist auch wirklich gut so.
GUNTER SEAT VON FOULLON, Berlin
betr.: „Grüne opfern Pazifismus“ u. a., taz vom 26. 11. 01
Ein Ausstieg der rot-grünen Regierung aus dem Bündnis gegen Terrorismus hätte eher symbolischen Charakter, mit wenig Einfluss auf die USA. Deutschland entscheidet hier nicht über Krieg und Frieden, und das ist auch angesichts unserer unseligen Geschichte gut so. Aber die Bundesregierung hat offensichtlich hohes Ansehen bei der Vermittlung im Nahostkonflikt und möglicherweise kann sie auch Einfluss bei der Suche nach einer politischen Lösung in Afghanistan nehmen.
Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt, deshalb können wir humanitäre Hilfe in Afghanistan und anderen Krisengebieten leisten. Hier kann die Bundesrepublik Einfluss nehmen, gerade auch im Sinne einer aktiven, zivilen und vorausschauenden Friedenspolitik und Konfliktvermeidung. [. . .] Wären die Grünen aus der Regierung ausgestiegen, dann hätten sie sich der Möglichkeiten begeben in diesem Sinne zu handeln. Ja, die Entscheidung von Rostock war Machtkalkül, war die Entscheidung dafür, wie sie am meisten Einfluss nehmen können. Was wäre die Alternative? [. . .] Wer der Entscheidung kritisch bzw. ablehnend gegenübersteht, muss sich schon fragen lassen, ob den Stoibers und Westerwelles die Entscheidung überlassen werden soll, die sicherlich keine pazifistische Politik betreiben. Neuwahlen hätten sicher auch keine Mehrheiten für eine andere Politik ergeben. Und der Friedensbewegung ist es bis jetzt auch nicht gelungen eine breite Masse gegen diesen Krieg zu mobilisieren.
Ich sehe bei den Grünen niemanden, der diesen Krieg mit „Hurra“ unterstützt. [. . .] STEFAN SCHNIEBER, Berlin
An die Bündnisgrünen.Ihr haltet euch also nach wie vor für eine Antikriegspartei und seid bewegt vom „politischen Pazifismus“. Merkt ihr nicht, wie ihr euch an Begriffen festhaltet und sie gleichzeitig entleert? Seht ihr nicht, wie sinnentleert diese Worte als bloße Etiketten an euch haften bleiben? Eure Machtgestaltungs-Erhaltungswut hat euch „in den Krieg getrieben“. HANS RIPPER, Mainz
Seit ich bewusst denke, war ich immer im Glauben, dass die testamentarisch belegte „unbefleckte Empfängnis der Jungfrau Maria“ an Aberwitz nicht zu toppen ist. Irrtum: Die Grünen schaffen das sogar in Verbindung mit einem Koitus interruptus im Vorfeld der Orgie. Super. Ein unentwegter Kampf gegen die WählerInnen.
WOLFGANG SIEDLER, Langenhagen
Politisches Vertrauen ist keine moralische Kategorie. Es orientiert sich entweder am Programm, daher genießen CDU und FDP nicht unser Vertrauen, oder an der nüchternen Einschätzung der Möglichkeit einer Partei oder Regierung, das, was sie verspricht, auch durchzusetzen. Unter dieser Voraussetzung genießen die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien nicht mehr mein Vertrauen. [. . .] WOLFGANG WIEMERS,
noch Mitglied der Grünen Partei und Ratsfraktion, Münster
Heute habe ich aus Anlass der Beschlüsse des Rostocker Parteitags meinen Austritt aus der Partei Bündnis 90/ Die Grünen erklärt. Die Beschlüsse des vergangenen Wochenendes bedeuten, dass die Grünen eine Politik mittragen, die auf die Durchsetzung der Interessen der Länder des reichen Nordens gegen die Interessen der armen Länder des Südens mit militärischen Mitteln setzen. Das ist eine völlige Abkehr von der bisherigen Programmatik der Grünen. Es kann trotz der Anschläge vom 11. 9. keine uneingeschränkte Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika geben, weil diese sich einem Prozess der Verständigung über Grundregeln des Zusammenlebens der Völker in vielen Bereichen verweigern. Als ein Beispiel ist die Drohung der USA anzuführen, alle Staaten, die die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofs betreiben, mit Sanktionen zu belegen. Amerika setzt aus-schließlich auf seine wirtschaftliche und militärische Stärke und nicht auf internationalen Konsens. Die so entstandene Anti-Terror-Koalition ist nur eine taktische Gemeinschaft zur Durchsetzung dieser Interessen, aber sie basiert nicht auf gemeinsamen Werten. Weder Russland, das einen Krieg gegen die nationale Minderheit der Tschetschenen führt, noch China, das die Minderheiten im eigenen Land mit Gewalt unterdrückt und sein Demokratieverständnis auf dem Platz des himmlischen Friedens diktiert, noch Saudi Arabien, wo eine fundamentalistisch antidemokratische Herrschaft ausgeübt wird, sind glaubwürdige „Antiterroristen“. Mit dieser Beliebigkeit, die letztlich auch erst einen Bin Laden stark gemacht hat, wird neues Unrecht geschaffen und damit eine nachhaltige Anti-Terror-Strategie unterlaufen. [. . .]
HELMUT ZACHAU, Ex-MdBB, Ex-Fraktionssprecher, Bremen
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