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■ LeseprobeAyșe K.:

Ich bin von Telefunken angeworben worden. 1969 habe ich nur zwei Wochen gewartet. Ich bin mit einer Gruppe von Frauen gekommen, mein Mann kam später. Am Flughafen holte uns ein Dolmetscher ab und brachte uns in ein Heim. Das Heim war heruntergekommen und entsprach nicht meinen Erwartungen. Drei Betten in einem Zimmer, kein Fußbodenbelag, die Schranktüren hingen herunter, keine Tischdecke. Ich fing an zu heulen. Mir kam es vor, als käme ich in ein Gefängnis. Wir durften keinen Besuch empfangen. Meine Schwägerin war auch dabei. Sie tröstete mich. Dann kam meine Schwester, die schon länger hier war. Sie hat mich zu sich genommen. Sie wohnte in einem Altbau, aber die Wohnung hatte sie nach ihrem Geschmack eingerichtet. Am nächsten Tag gingen wir zur Arbeit. Der Chef und die Meister wurden uns vorgestellt. Sie schienen mir ernst und vertrauenswürdig zu sein. Sie gefielen mir ganz gut. Die Arbeit war auch nicht schwer. Ich mußte Glühbirnendrähte zusammenlöten. Damals war ich 23 Jahre alt und hatte schon in der Türkei 10 Jahre gearbeitet. Dann haben sie mich noch mal medizinisch untersucht. Jeder von uns wurde entsprechend dem Untersuchungsergebnis eine Arbeit zugeteilt. In eineinhalb Monaten hatte ich das Akkordsoll erfüllt. Der Vorarbeiter war sehr zufrieden mit mir. Dann haben sie uns nochmal zum Röntgen geschickt. Da haben sie mir gesagt, ich hätte einen Lungenschatten. Ich wollte unbedingt auch meinen Mann zu Telefunken holen, deshalb war ich wie vor den Kopf geschlagen. Ich dachte, ich würde verrückt. Sie wollten mich sofort zurück in die Türkei schicken. Ich wollte aber unbedingt hier bleiben. Ich habe jahrelang in der Türkei gearbeitet, seit meinem 13. Lebensjahr. Schließlich haben sich die türkische Sozialversicherungsanstalt und die deutsche Krankenkasse über die Kostenbeteiligung geeinigt. Sie schickten mich dann nach Wannsee ins Sanatorium. Der Dolmetscher versprach mir, sich um eine Stelle für meinen Mann zu kümmern. Im Krankenhaus sprach kein Mensch türkisch, nur die türkischen Reinigungskräfte. Sie haben mich getröstet. Die Ärzte wollten bei mir eine Sonde einführen und mich danach eventuell noch operieren. Das ging alles gut. Vor meiner Abreise hätte ich nie gedacht, daß ich so viele Schwierigkeiten kriegen würde, mit der Sprache und so. Ich habe nie daran gedacht, daß die Leute hier eine andere Sprache sprechen. Ich war zu jung, beinahe noch ein Kind. Ich wollte nur nach Deutschland, wo auch meine Schwester war. Dabei habe ich nie an Probleme gedacht. Damals war auch mein Sohn erst dreieinhalb Jahre alt. Meine Schwiegermutter sollte auf ihn aufpassen. Die Trennung von ihm fiel mir aber sehr schwer. Nach einem halben Jahr etwa kam mein Mann nach. Er hat sich schwer getan, sich hier zurechtzufinden. Am Flughafen stand er vor der automatischen Tür auf der falschen Seite und bekam die Tür nicht auf, bis jemand ihn hereinließ. Dann kam er mit dem Taxi heim. Der Koffergriff war abgerissen. Er saß auf seinem Koffer und wußte nicht wohin. Nach einer Weile sah ihn eine türkische Bekannte und brachte ihn zu mir. Ich war bei der Arbeit und wußte nicht genau, wann er kommt.

Auszug aus dem zweisprachigen Buch: „... weil wir Türken sind ...Türk oldugumuz için“. Hrsg. von Kemal Kurt, Erika Meyer. EXpress Edition GmbH, Berlin 1981.

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