Leistungsprämien für Staatsbedienstete: Fast nur herausragende Beamte
In Niedersachsen und Schleswig-Holstein bekamen viele Beamte fragwürdige Zusatzvergütungen. Nun prüfen die Behörden und die Staatsanwälte ermitteln wegen Untreue.
HAMBURG taz | Die Osnabrücker Staatsanwaltschaft ermittelt, die Innenminister von Niedersachsen und Schleswig-Holstein kündigten umfangreiche Prüfungen an und beorderten alle Kreise und kreisfreien Städte zum schriftlichen Rapport. Der Grund für die schweißtreibenden Aktivitäten mitten im Sommerloch: In den beiden norddeutschen Flächenländern sollen viele hundert Beamte Leistungsprämien bekommen haben, die ihnen gar nicht zustehen. Von Rechtsbruch und Untreue ist die Rede.
Die Fakten: Damit Leistung sich auch in Amtsstuben lohnt, sehen die Besoldungsgesetze von Niedersachsen und Schleswig-Holstein vor, dass Beamten für "herausragende besondere Einzelleistungen" eine Leistungsprämie gewährt werden darf. Sie beträgt ein monatliches Anfangsgrundgehalt der jeweiligen Besoldungsgruppe. Dabei dürfen in der Regel nur 15 Prozent der Beamten mit dem monetären Motivationsanreiz bedacht werden, in absoluten Ausnahmefällen 30 Prozent.
Deutlich zu wenig - das fanden nach Ansicht der Ermittler der Osnabrücker Landrat Manfred Hugo und sein Mitstreiter, der frühere Kreisrat Reinhold Kassing. Und ersonnen, so vermutet die Osnabrücker Staatsanwaltschaft, einen gleichmacherischen Plan. Sie errechneten schlau den Höchstbetrag, der fällig würde, wenn 15 Prozent ihrer Bediensteten die Sonderprämie bekämen und teilten die so zusammenaddierte Summe auf möglichst viele Bedienstete auf.
So kann nun selbst der Personalratsvorsitzende des Kreises Osnabrück Hans-Dieter Schleibaum, verkünden, Niedersachsen sei "kein finanzieller Schaden" entstanden.
Nullnummer: In Bremen und Hamburg werden an Beamte keine Prämien gezahlt, da sie keine kommunalen, sondern Bedienstete eines Bundeslandes sind.
Zukunftsmusik: In Schleswig-Holstein wurde eine Novelle des Besoldungsrechts von der Regierung bereits auf den Weg gebracht. Sie wird am 18.August im Finanzausschuss behandelt.
Freifahrtsschein: Die Novelle sieht vor, "auf die zahlenmäßigen Vorgaben zur Vergabe der Leistungsprämien zu verzichten", verriet ein Sprecher des Kieler Finanzministeriums am Mittwoch.
Kassing-Nachfolger Stefan Muhle rechtfertigt die Ausschüttung nach dem Rasenmäherprinzip auch heute noch als "gleiche und gerechte Zahlung", da in den Tarifverträgen für städtische Angestellte Prämienzahlungen vorgesehen seien. Nur "rechtlich einwandfrei", muss Muhle eingestehen, war sie eben wohl nicht, weswegen die Staatsanwälte nun wegen des Verdachts der Untreue gegen Hugo und Kassing ermitteln.
Auch in anderen niedersächsischen Städten, Kreisen und Gemeinden gibt es auffallend viele Beamte, die so "herausragende Leistungen" erbrachten, dass sie prämiert werden mussten. So stachen in Aurich nach Informationen von NDR-Info rund 90 Prozent aller Staatsdiener weit aus der Masse heraus - entsprechende Zusatzgratifikationen waren unumgänglich. In Delmenhorst kamen immerhin 78 Prozent der Beamten in den Genuss der Prämien-Zahlung.
Ein Modell, das grenzüberschreitend in Mode kam: In Schleswig-Holstein sollen im Kreis Steinburg 73 Prozent der Beamten eine Leistungsvergütung bekommen haben, auch die Kreise Dithmarschen und Schleswig-Flensburg überschritten das 15-Prozent Limit deutlich.
Zudem gab es in mindestens fünf Gemeindeverwaltungen Verstöße, die inzwischen von den Aufsichtsbehörden moniert wurden - sie liegen in den Kreisen Lauenburg, Ostholstein und Plön.
Alle betroffenen Kommunen betonen unisono, dass es durch die eigenmächtige Umverteilung nicht zu Mehrausgaben gekommen sei. Die Prämienzahlungen sollen jetzt in Niedersachsen und Schleswig-Holstein landesweit überprüft werden.
Die für die Kommunalaufsicht zuständigen Innenministerien beider Länder haben eine landesweite Überprüfung der Prämienzahlungen angeordnet. So hat das Niedersächsische Innenministerium bereits von allen Landkreisen und kreisfreien Städten entsprechende Stellungnahmen eingefordert, in Schleswig-Holstein gehen entsprechende Briefe am heutigen Donnerstag raus. Offizielle Ergebnisse soll es aber erst in einigen Wochen geben.
Schneller äußerten sich die Gewerkschaften, die ihren Mitgliedern ihr Zubrot gern erhalten würden. So macht die Gewerkschaft für kommunale Beamte und Angestellte (Komba) vor allem die komplizierte Rechtslage für die Verstöße verantwortlich, die eigentlich gar keine seien: "Wir halten dieses Vorgehen für richtig. Wir müssen dem Gesetzgeber wirklich zeigen, dass wir ein Defizit in der Rechtsordnung haben", kündigte der schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Kai Tellkamp an.
Im Klartext: Juristische Nachbesserungen müssten her, die den flächendeckenden Rechtsbruch in geltendes Recht verwandeln.
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