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LeehreKein Azubi-Run ...

■ ... trotz 300 freier Lehrstellen in Bremen

„Na, auch hier?“ Treffpunkt Arbeitsamt, Dienstag, 11 Uhr morgens. Etwa 25 Jugendliche sitzen im Warteraum, halten fleischfarbene Zettel in der Hand, vollgeschrieben mit in Deutschland vorhandenen Lehrberufen. Die Stimmung ist entspannt. Kein dichtes Gedränge, keine Schlangen bei der diesjährigen Last-Minute-Leerstellen-Vergabe des Arbeitsamtes.

Die wartenden Jugendlichen unterscheiden sich nicht vom normalen Arbeitsamt-Publikum. Da sitzt der Abiturient neben dem schwer vermittelbaren „Fall“, die Türkin mit Kopftuch neben dem Vater mit Kind. Eine Tür geht auf, ein Mann in grau erscheint: „Murat Kiray bitte!“ Murat ist 20 Jahre und schon seit einem Jahr auf der Suche nach einer Lehre. Am liebsten würde er Reiseverkehrskaufmann werden. Er hofft, auf der zweitägigen Last-Minute-Aktion einige Lehrstellenadressen zu erhaschen. Doch Murat weiß, seine Chancen sind eher schlecht. Gerade Reiseverkehrs-Kaufmann ist einer der „In-Berufe“, wie Detlef Stüwe von der Berufsberatung des Arbeitsamtes erklärt.

Rund 300 Adressen hat das Amt zu vergeben, vom Anlagenmechaniker bis zum Zerspanungs-Mechaniker. Das Verhältnis von offenen Stellen zu Bewerbern lag in Bremen dieses Jahr bei rund 5.000 zu 5.400. Doch eigentlich fehlen viel mehr Plätze, wie Stüwe betont, „schließlich passen Deckel und Topf ja nicht immer zusammen.“ So bleibt den Jugendlichen oft nur, Kompromisse zu schließen oder die Entscheidung hinauszuschieben, indem sie ein „freies soziales Jahr“ oder ein Praktikum einlegen. Besonders türkische Jugendliche müssen sich oft umorientieren. „Die sind meist auf zwei Berufe fixiert“, berichtet Kemal Aka von der „Beratungsstelle zur Qualifizierung ausländischer Nachwuchskräfte“ (BQN): KFZ-Mechaniker bei den Jungen, Friseurin bei den Mädchen.

Die 19-jährige Deutsche Mareike wird ihre Wunsch-lehre wohl auch nicht bekommen. Sie möchte Goldschmiedin werden, ist jedoch weder in Bremen noch in Hamburg fündig geworden: „Ich will gar nicht studieren, aber mir bleibt nichts anderes übrig“, ist die Abiturientin frustriert.

Die 20-jährige Sandra hingegen ist glücklich: „Vielleicht klappt's ja doch noch mit der Lehre im Reisebüro!“ Die Adresse eines Ausbilders hält sie fest in der Hand.

Ein Handy klingelt. Ein Jugendlicher in weiten Jeanshosen, der sich auf einem der roten Lederstühle breit gemacht hat, geht dran: „Bin erst seit einer Viertelstunde hier. Jetzt beginnt das stundenlange Warten.“ Der Zettel mit der Liste der Lehrstellenangebote liegt verloren auf dem Sitz neben ihm. vv

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