Leben in Südafrika: Dann brennt halt ein Reifen
Die Idee kann kaum hoch genug geschätzt werden: ZDF Info zeigt am Samstag "24 Stunden Südafrika" - eine ganztägige Doku fast ohne Trommeln, Tiger und Lehmhütten.
Wie der Schwarze Kontinent zu seinem schlechten Image kam? Ganz einfach 1.) Vorurteil: Afrika ist der Katastrophenkontinent. 2.) Folgerung: Wenn das so ist, darf man es auch schreiben. 3.) Analyse: Wenn alle das schreiben, beweist das doch, dass es stimmt. 4.) Konsequenz: Wenn das wirklich stimmt, muss man auch darüber berichten. 5.) Gewissheit: - Afrika ist der Katastrophenkontinent!
Anders gesagt: In der gängigen Mischung aus Quotenfixierung, Klischeebildern und als "Das ist ja alles so furchtbar!" getarnter Interesselosigkeit ist Südafrika ist zwar das von allen afrikanischen Ländern mit am meisten Aufmerksamkeit bedachte. Dennoch kann kaum hoch genug geschätzt werden, dass am Samstag bei ZDF Info (und auszugsweise im ZDF-Hauptprogramm) mit "24 Stunden Südafrika. Ein Land - ein Tag" eine ganztätige Dokumentation läuft, die aus vielen einzelnen Reportagen und Porträts besteht.
Zwölf Reporter, die meisten mit kleiner Kamera ausgestattet, begleiteten in Südafrika etwa 70 Protagonisten in ihrem Alltag, die selbst handeln, die sprechen dürfen, die nicht alle hungern, die nicht nur Opfer sind.
Das Konzept klingt nach einer Adaption von "24 Stunden Berlin". Es gibt aber einen Unterschied: Man kann Afrikareportagen nicht sehen wie Filme aus Berlin oder Reportagen aus der ZDF-Reihe "37 Grad". Darin mag es um Sozialfälle, Alleinerziehende und Drogensüchtige gehen - man kann aber davon ausgehen, dass alle Zuschauer jedes noch so drastische Fallbeispiel in ein breites Gesellschaftspanorama einordnen können.
Reportagen aus Afrika dagegen, die von Hunger, Kindersoldaten, Lehmhütten und wildem Getier handeln, bergen die Gefahr, dass der ganze Kontinent darauf reduziert wird. Wissenschaftliche Analysen belegen, was auch so klar war: Das Afrikabild ist eingeschränkt.
Journalisten assoziieren mit Afrika tendenziell die vielen Ks: Kriege, Katastrophen, Krankheiten, Korruption, Kriminalität. Und Fernsehautoren halten sich an Trommeln, Löwen, Sonnenuntergang und - in ihrer Rolle als eine Art großbusiger Bob Geldof: Christine Neubauer.
Beiträge über Alltag, Kultur, lokale Wirtschaft, das urbane Leben und über positive Aspekte wie Demokratisierungsprozesse erscheinen, wie Wiener Kommunikationswissenschaftler monierten, in deutschsprachigen Medien selten.
Die erste von 24 Stunden der Dokumentation, die das Geschehen zwischen 6 und 7 Uhr zeigt, war für Journalisten vorab zu sehen. Sie bietet nur einen Eindruck, doch das Prinzip wird klar: Man lernt ein Internat kennen, ein Waisenhaus, Eventmanagerin Tshepiso, Wildhüter Mark, die Bürgerpatrouille in Soweto, Baulöwin Thandi Ndlovu, den Schuster von Nelson Mandela, die Obdachlose Shonisani, die neben dem Hauptbahnhof in Johannesburg lebt, und "einen Affen schiebt" (südafrikanischer Slang für Drogenkater). Man hat danach zwar keine gesellschaftliche Analyse gehört, erahnt aber doch die Vielfalt des Landes.
Ohne etwas plumpe Schwarzseherei kommt auch "24 Stunden" nicht völlig aus: Als in Soweto ein Autoreifen brennt, weil Taxifahrer gegen die Konkurrenz der Minibusse protestieren, versprüht der Sprecher einen Hauch von Guido Knopp: Da würden "Erinnerungen wach - an dunkle Zeiten im einstigen Schwarzenghetto", und er behauptet, die Mienen bei den Mitgliedern der Bürgerpatrouille würden angesichts dessen gerade ernster. Dazu sieht der Zuschauer allerdings einen grinsenden Bürger, der aussieht, als würde er gerade denken: "Gottchen, ja, dann brennt halt ein Reifen."
Toll dagegen ist, dass die Themen nicht wahllos ausgewählt sind, sondern aktuell in Südafrika geführte Diskussionen abbilden: über regierungsfinanzierten Hausbau für Arme, die Privatisierung der Kriminalitätsbekämpfung und die soziale Schere. Weil nach der WM aber das Interesse nicht enden darf: Bitte, ZDF, jetzt "24 Stunden Sudan". // 24 Stunden Südafrika, Samstag, ab 6 Uhr, ZDF Info
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“