Laudatio von Florian Westphal: Kampf für die Menschlichkeit

Florian Westphal würdigt die Flüchtlingspaten Syrien, GewinnerInnen des taz Panter LeserInnenpreises.

Lobt den Kampf für Hoffnung und Menschlichkeit der Flüchtlingspat*innen: Florian Westphal von Ärzte ohne Grenzen Bild: Hein-Godehart Petschulat

Im Folgenden bilden wir das Manuskript der Laudatio von Florian Westphal auf die Initiative „Flüchtlingspaten Syrien” ab, GewinnerInnen des LeserInnenpreises beim taz Panter Preis 2017. Die Laudatio wurde am Abend des 16. September 2017 im Kino International in Berlin gehalten. (Anm. d. Red.)

Der Panter Preis würdigt den aktiven Kampf gegen gesellschaftliche und politische Missstände. Viele Preisträger setzen sich für Menschen ein, die Opfer staatlicher Vorgaben und Handlungen werden.

Die Arbeit der Preisträger zeigt, was es bedeutet, wenn der Staat genau die Menschen, die am meisten Hilfe brauchen, fertigmacht. Dieses geschieht nicht von ungefähr, sondern ist oft das Ziel politischer Entscheidungen.

Der diesjährige Träger des Publikumspreises leistet großartige, zutiefst menschliche Hilfe für Flüchtlinge, die sich in einer verzweifelten Situation befinden. Diese Organisation zeigt uns, wie wichtig es ist, gerade für jene Menschen in Not da zu sein, denen die Politik nicht helfen will.

Deswegen freut es mich besonders, dass der diesjährige Publikums-Panter an die Flüchtlingspaten Syrien geht.

Die Flüchtlingspaten ermöglichen es in Deutschland lebenden Flüchtlingen aus Syrien, ihre Angehörigen aus dem Bürgerkriegsland nachzuholen und damit in Sicherheit zu bringen.

Schutz vor Verfolgung und Krieg, eine Unterkunft, Ernährung und Gesundheitsversorgung – das sind die Bedürfnisse von Flüchtlingen an die man zuerst denkt. Aber was diese Menschen genau so dringend brauchen, ist der Kontakt mit ihren Familien, von denen sie oft durch die Flucht getrennt wurden.

Zähes Ringen mit den Behörden

Die ständige Furcht um Angehörige, die inmitten von Bomben, Terror und Hunger in Syrien zurückbleiben mussten; die Angst bei jeder neuen Schreckensnachricht in den Medien oder bei Facebook – wir können uns vorstellen, dass für Menschen, die mit dieser furchtbaren Ungewissheit leben müssen, kaum andere Gedanken möglich sind.

ist seit 2014 Geschäftsführer der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen. Zuvor arbeitete Westphal mehrere Jahre als Hörfunkjournalist und war 15 Jahre lang für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, unter anderem im Kongo, in Sierra Leone und Kenia, tätig.

In einer Reportage des Deutschlandfunks fand ich folgendes Zitat eines syrischen Flüchtlings: „Das lange Warten macht mich fertig. Ich gehe jeden Tag drei bis vier Stunden zum Deutschkurs. Dann komme ich in meine Unterkunft zurück, meine Gedanken wandern zu meiner Familie und ich vergesse alles, was ich bei der Lehrerin gelernt habe.“

Wie die deutsche Bürokratie oft auf diese Schicksale reagiert, kann man auf der Facebookseite der Flüchtlingspaten nachlesen: da gibt es zum Beispiel die Geschichte eines acht Monate alten Mädchens aus Syrien. Seine Eltern durften zum 16-jährigen Bruder nach Hamburg nachkommen – aber die kleine Schwester nicht. Die Flüchtlingspaten arrangierten alles, es gab einen Bürgen und viele SpenderInnen. Schließlich waren alle Unterlagen fertig, aber trotzdem wurde der Visumsantrag für das Baby abgelehnt – jetzt hieß es, das Mädchen habe keinen ausreichenden Wohnraum in Deutschland!

Durch zähes Ringen ist es dem Verein letztendlich gelungen Eltern und Baby nach Deutschland zu holen. Die Flüchtlingspaten schreiben zurecht: „Dass Deutschlands Flüchtlingspolitik immer rigider wird und durch Visumsverweigerung für minderjährige Kinder der Familiennachzug systematisch unterlaufen und behindert wird, ist allerdings ein Skandal, an dem dieses kleine Happy End nichts ändert.“

Zeichen gegen Abschottung und Ausgrenzung

Im Grundgesetz steht: „Ehe und Familie stehen unter besonderem Schutz der staatlichen Ordnung“. Dieser Schutz müsste eigentlich auch für Flüchtlinge gelten. Aber die Politik geht genau in die andere Richtung: die Bundesregierung hat mit dem Asylpaket II den Familiennachzug stark eingeschränkt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagt, dies sei nötig, um „eine Überlastung der Aufnahmesysteme in unserem Land zu verhindern.“

Die meisten Flüchtlinge aus Syrien haben seit März 2016 nur noch Anrecht auf den sogenannten „subsidiären Schutz“; mit diesem können sie erst ab März 2018 wieder Anträge auf Familiennachzug stellen. Vielleicht aber auch nicht – denn im Wahlkampf treten Herr de Maizière und andere dafür ein, den Familiennachzug noch länger auszusetzen.

Die von den gleichen Politikern immer wieder beschworene Integration von syrischen Flüchtlingen wird also bewusst verzögert, indem man sie daran hindert, zusammen mit ihrer Familie ein neues Leben in Deutschland aufzubauen.

Es ist genau das Gleiche wie bei dem EU-Türkei Abkommen oder der Abschottung gegen Menschen, die aus Libyen über das Mittelmeer fliehen: die legale Flucht nach Europa und Deutschland wird unmöglich gemacht und den Menschen bleibt keine Wahl, als sich in die Hände von Schleppern zu begeben.

Ziel dieser Politik ist es, Flucht unmöglich zu machen – nicht Menschen zu helfen, die sich vor Krieg und Verfolgung in Sicherheit bringen müssen. Für den Familiennachzug ist in dieser Politik kein Platz.

Das Zusammenführen von syrischen Familien nach Jahren der Trennung und Angst ist ein starkes Zeichen gegen Abschottung und Ausgrenzung. Die Flüchtlingspaten Syrien leisten Widerstand, sie kämpfen für Hoffnung und Menschlichkeit.

Dafür danken wir Ihnen – und dafür werden sie heute mit dem taz Panter Preis geehrt.

Florian Westphal, 16. September 2017, Kino International