Lars von Trier auf der Bühne: Zeitreise mit Werwolf
In Düsseldorf bringt Sebastian Baumgarten Lars von Triers "Europa" auf die Bühne. Einen Thriller von 1991, aus der Zeit vor "Dogma".
Lars von Triers Filmschaffen erfreut sich in der laufenden Theatersaison eines emsigen Zweitverwertungsbooms: Berlin und Mannheim brachten Uraufführungen von Bühnenadaptionen seiner Filme heraus, nun hat sich in Düsseldorf Sebastian Baumgarten an von Triers "Europa"-Film gewagt, der bereits 1991 in die Kinos kam. Da lagen das "Dogma"-Manifest und seine ästhetische Ausnüchterungs-Reform des Kinos noch in der Zukunft, und die Theatertauglichkeit seiner Drehbücher war noch kein Thema. Denn von Trier arbeitete in "Europa" noch mit allen Tricks des Kinos als Illusionsmaschine und setzte auf extreme, bildmächtige Stilisierung.
Die Geschichte, der klassische Kinostoff einer Zeitreise, schrie ja auch förmlich danach. In Umkehrung von Kafkas "Amerika" kommt Leopold Kessler als junger Amerikaner deutscher Herkunft nach Europa, mitten hinein ins verwüstete Nachkriegsdeutschland der Stunde null. Kessler, ganz naiver Gutmensch und Kriegsdienstverweigerer, ist getrieben von der Hoffnung auf Versöhnung und trifft auf ein Land, auf dessen Trümmern neue Lügen mit der alten Barbarei paktieren. Ausgerechnet Schlafwagenschaffner will er werden, ein deutscher Onkel soll ihn bei "Zentropa" unterbringen. Kessler besteht die hochnotpeinlichen Prüfungen und lernt im Zug Katharina Hartmann, die Tochter des alten und neuen "Zentropa"-Inhabers, kennen und lieben. Katharina ist jedoch Anhängerin der Nazi-Revanchistengruppe der "Werwölfe" und instrumentalisiert Kessler, kaum dass er in die Familie eingeführt ist, als Bombenleger. Die Sache endet voraussehbar böse: Vater und Bruder kommen nach allerhand vergeblichem Persilschein-Gemauschel mit einem amerikanischen Colonel doch noch ums Leben, Kessler wehrt sich, wird erpresst, gibt nach und ertrinkt schließlich mitsamt seinem Schlafwagen, den er gehorsam in einen Fluss gebombt hat.
Die Moral von der Geschicht ist auf dem Theater - nicht bei von Trier, der vor allem einen Thriller gedreht hat - natürlich, wir ahnten es schon, ihr Verweis in die globalisierte Gegenwart. Sebastian Baumgarten lässt den Abend ergo auf der Analysecouch beginnen: Kessler befindet sich in der Gegenwart und wird via Hypnose in die Vergangenheit geführt, um dem prägenden Trauma Europas wieder zu begegnen. Denn: "Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen. Was dieser gewollt hat, müssen wir erforschen, wenn wir zu wissen wünschen, was jener will", lässt Baumgarten durch Heinrich Heine zu Beginn via Videoscreen wissen.
Der für sein politisch kritisches Fußnotentheater bekannte Baumgarten enthält sich für den Rest des Abends weiterer Texteinbauten und Montagen. Stattdessen setzt er radikal und nimmer nachlassend auf Aktions- und Technik-Dauerfeuer, fragmentiert, überzeichnet, scheut grelle Schockeffekte nicht und peitscht choreografisch beschleunigt ein hohes Tempo durch, das bisweilen auch für szenische Verwirrung sorgt. Daneben dröhnt Wagners "Parsifal"-Kundry-Akt aus den Boxen, auch ein "Tristan"-Zitat darf nicht fehlen. Eine Modelleisenbahn rumpelt mit Minivideokamera unablässig im Kreis, vorbei an Produkten wie "Aspirin" oder "Persil", die den Krieg ebenso überlebten wie ihre unter zweifelhaften Umständen reingewaschenen Unternehmen.
Doch die klassische Übercodierung der Bilder, auf die Baumgarten sich sonst so gut versteht, scheint ihm diesmal ins Leere zu laufen. Der Umgang mit Text gefriert zu einförmigem Staccato und parodistischer Einfarbigkeit. Der Abend schwitzt und ächzt unter seiner Überambition, er will seine Botschaft förmlich einprügeln und trampelt doch nur wild auf der Stelle. So werden zwei laute, verwirrende Polit-Trash-Stunden zur gefühlten Überlänge.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!