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Langsam kehren die alten Zeiten zurück

Heute wird in Weißrußland über die künftige Orientierung des Landes entschieden. Die größten Chancen, erster Präsident des Landes zu werden, hat Premier Kebitsch. Er strebt eine engere Anbindung an Moskau an.  ■ Aus Minsk Klaus Bachmann

Zanon Paznjak ist ein staubtrockener Wissenschaftler. In einem Land, in dem sich fast nichts ohne einen halben Liter Wodka erledigen läßt, verweigert er standhaft jede Form von Alkohol, er raucht nicht, ist nicht verheiratet und hat gut informierten Quellen zufolge auch keine Freundin. Das ist seine Reaktion auf die Tatsache, daß Weißrußlands Kommunisten im allgemeinen irdischen Genüssen nicht abgeneigt sind. Denn Zanon Paznjak ist verbissener Antikommunist und Vorsitzender der Nationalen Front „Adradschenja“, zu deutsch „Wiedergeburt“.

Zanon Paznjak möchte Präsident Weißrußlands werden. Zusammen mit dem bisherigen exkommunistischen Premier Kebitsch und dem im letzten Jahr gestürzten demokratischen Präsidenten Schuschkewitsch ist er einer der aussichtsreicheren Bewerber bei den heutigen Wahlen. Doch die staatlich gelenkten Massenmedien ignorieren ihn, und deshalb ist der Kandidat pausenlos auf Wahlkampftour. Ende vergangener Woche hatte er eine größere Gruppe ausländischer Journalisten in sein Hauptquartier in Minsk eingeladen und ihnen fast eine ganze Stunde lang alle 35 Kandidaten seines Schattenkabinetts vorgestellt. Kein auch noch so demonstratives Gähnen konnte ihn davon abhalten, diese Prozedur zu Ende zu bringen. Denn Zanon Paznjak ist absolut humorlos, und Augenzeugen, die ihn auch nur lächeln sahen, sind dünn gesät in Minsk.

Paznjaks hermetischer Charakter und seine kompromißlosen Formulierungen haben sein Image mehr geprägt als das Programm, das er verkündet. Zumal dieses sich von den programmatischen Vorstellungen seines demokratischen Rivalen Stanislav Schuschkewitsch kaum unterscheidet.

Dennoch läßt Paznjak, dessen Volksfront den Ex-Staatschef seinerzeit mit aufs Schild gehoben hat, an Schuschkewitsch kein gutes Haar: „Er hat mit den Kommunisten paktiert.“ Für Paznjak ist dies die schlimmste aller Sünden, und selbst die Tatsache, daß Schuschkewitsch für marktwirtschaftliche Reformen, Pressefreiheit und Unabhängigkeit von Rußland ist, tritt da in den Hintergrund.

Daß insgesamt sechs Kandidaten antreten, ist dem Stadtbild kaum zu entnehmen. In fast allen staatlichen Läden hängen große, bunte Plakate, von denen Weißrußlands starker Mann, Ministerpräsident Wjatscheslaw Kebitsch, seinen Untertanen sein staatsmännisches Konterfei entgegenstreckt.

Ein permanentes Kebitsch-Festival

Kebitsch ist in allen Auslagen, er ist in allen Zeitungen, und im Fernsehen läuft seit Wochen ein permanentes und penetrantes Kebitsch- Festival: Kebitsch unter Kolchosarbeitern, Kebitsch unter Fabrikarbeitern, Kebitsch unter Hausfrauen. Zur Sicherheit wurde allen Mitarbeitern des staatlichen Fernsehens vor den Wahlen „im Rahmen der Umstrukturierung“ gekündigt. Ob die Verträge verlängert werden, entscheidet sich nach den Wahlen. Sicher ist sicher.

Bereits geschlossen wurden zwei kritische Radiostationen. Ihre Journalisten befinden sich nun buchstäblich auf der Straße, auf dem Skaryna-Prospekt verteilen sie Flugblätter gegen die Zensur, werben für Schuschkewitsch und Paznjak. Nur jeder zweite Passant nimmt ein Flugblatt, dem Rest sind die Einkäufe wichtiger. „Ich schäme mich für die weißrussischen Fernsehjournalisten, schimpft ein Flugblattverteiler über das TV-Dauerfestival mit Namen Kebitsch, „was die machen, ist so lächerlich. Das glaubt doch keiner.“

Doch viele Passanten geben Kebitsch die größten Chancen. Das heiße aber bitte nicht, verkündet ein junger Mann, daß er Kebitsch auch wählen werde. Seine Unterstützung für das ehmals hochrangigen Nomenklatura-Mitglied will keiner eingestehen.

Hauptrivale Kebitsch' ist laut Meinungsumfragen Aleksander Lukaschenko, der Vorsitzende des Anti-Korruptionsausschusses im Parlament. Letztes Jahr half er mit, Präsident Schuschkewitsch zu stürzen, er hielt ihm vor, Rechnungen für den Ausbau nicht bezahlt zu haben. Der prokommunistischen Mehrheit mit Kebitsch an der Spitze kam das gerade recht, um den unbequemen Demokraten loszuwerden.

Doch Lukaschenko machte weiter und beschuldigt nun die halbe Regierung der Korruption. Das kommt an in einem Land, in dem kleine Schmiergelder zum Alltag gehören und Wucher als „Marktmechanismus“ gilt. Lukaschenkos Image als Robin Hood lenkt sogar ab von seinen „unkonventionellen“ wirtschaftspolitischen Einfällen. Ebenso wie Kebitsch will auch er die Inflation senken, die Löhne erhöhen, die Preise senken und die Subventionen für die Staatsbetriebe erhöhen. Im Unterschied zu Kebitsch verfügt Lukaschenko aber über Charisma.

Zwei Einschußlöcher im Mercedes

Diesem Sheriff-Charisma ist ein kleines Attentat nur förderlich. Die Nachricht, Lukaschenko sei bei der Rückkehr von einer Wahlveranstaltung in Witebsk von einem überholenden Wagen zweimal beschossen worden, verbreitete sich in der letzten Woche wie ein Lauffeuer in Minsk. Am gleichen Abend ließ das staatliche Fernsehen zur Hauptsendezeit eine verworrene Reportage über den Bildschirm flimmern, der zu entnehmen war, daß Lukaschenko erstens stockbesoffen im Auto saß und zweitens gar nicht beschossen worden sein kann. Dies habe ein Experiment des weißrussischen KGB ergeben.

Da sich nun aber zwei häßliche Löcher im 15 Jahre alten Mercedes von Lukaschenkos Fahrer nicht wegdiskutieren lassen, luden Lukaschenkos Vertreter und der stellvertretende Innenminister Lucjan Sobolowskij zu einer Pressekonferenz. Auch ein hoher KGB-Offizier ist da, und der erklärt kategorisch, ein Attentat habe nicht stattgefunden, denn das Experiment habe zweifelsfrei ergeben, daß bei einer Geschwindigkeit von 120 km/h die Einschußlöcher anders aussehen müßten. Lukaschenkos Rechtsberater, selbst ehemaliger Polizeioffizier, schwillt sichtbar der Hals an, und sein fahler Teint erstrahlt vor Erregung plötzlich in geradezu jugendlicher Röte. „Warum machen Sie ein Experiment mit 120 km/h, wenn wir nur 70 km/h gefahren sind?“ fährt er den KGB-Offizier an. Schweigen. Das hat das KGB nicht gewußt. Das kommt davon, wenn man von der eigenen Fahrweise auf die anderer schließt.

„Weshalb gibt das Innenministerium eine Bewertung des Falls ab, bevor die ballistische Untersuchung vorliegt?“ schießt sich ein Journalist auf die „Organe der inneren Sicherheit“ ein. Schweigen. Gegen wen werde hier eigentlich ermittelt, gegen Unbekannt oder Lukaschenko? Der Saal lacht.

Doch damit ist die Blamage des KGB noch nicht zu Ende. Eine rechtsextreme Splittergruppe habe Lukaschenko gedroht, weiß das KGB davon? Das KGB, verkündet sein Presseprecher ohne mit der Wimper zu zucken, wisse von der Existenz einer solchen Gruppe gar nichts. Eine extravagant gekleidete Dame steht auf und verkündet, sie sei Russin aus Moskau und verbringe hier ihre Ferien. Acht Stunden vor dem Attentat habe sie ein Bekannter aus Moskau angerufen und gefragt, ob es stimme, daß auf Lukaschenko geschossen worden sei. Konsternation auf den vorderen Bänken. Auch das hat das KGB nicht gewußt. Die Zeiten, als das KGB alles wußte, gehören offenbar der Vergangenheit an.

Junge Männer in schwarzen Uniformen

Kebitsch setzt die staatlichen Behörden und Medien massiv gegen seine Kontrahenten ein, bestätigt der Chef des antikommunistischen „Weißrussischen Offiziersbundes“, Mykola Statkjewitsch. Die Tür seines Hauptquartiers öffnet ein junger Mann in schwarzer Uniform und Militärstiefeln. Nachdem vor vier Monaten die Offiziersvereinigung wegen „Nationalismus“ und „Aufruf zum Rassenhaß“ verboten wurde, weil sie den Rückzug der ehemals sowjetischen und jetzt russischen Einheiten aus Weißrußland gefordert hatte, fungiert Statkjewitsch jetzt als Organisator eines „Bürgerkomitees zur Wahlkontrolle“. Diese wurde von vier der sechs Kandidaten anerkannt, Kebitsch ist nicht unter ihnen. Während einer der schwarzen Männer auf einem Tablett Tee bringt, berichtet Statkjewitsch von seinen Erhebungen: „Jeder Kandidat mußte mindestens 100.000 Unterstützungsunterschriften sammeln. Die für Kebitsch kamen zusamen, indem in Kolchosen und Betrieben erst nach Unterschriftsleistung Löhne ausgezahlt wurden. In der Armee erhielten die Rekruten von den Offizieren einfach den Befehl, die Liste zu unterschreiben. In der Armee konnte ohnehin nur Kebitsch agitieren.“

Die Freiheit kommt aus Litauen

Ob sein Offiziersbund Waffen habe, will Statkjewitsch nicht verraten. Nach dem Verbot ließ er eine martialische Erklärung los, derzufolge alle, die Weißrußland an Rußland verkaufen wollten, „mit tragischen Konsequenzen für sie persönlich“ rechnen müßten. „Wir sind keine Nationalisten“, beteuert er, „wir erkennen die bestehenden Grenzen an, wir haben nichts gegen Minderheiten. Aber wir sind uns darüber im klaren, daß unser Regime nur noch eine Sprache versteht: die der Stärke.“ Statkjewitsch legt ein Photo auf den Tisch. Es zeigt, wie er an einer Reihe schwarzgekleideter junger Männer in Schnürstiefeln vorbeischreitet. „In Novo Lukoml patrouillieren wir zusammen mit der Polizei die Straßen“, verkündet er stolz.

Ein paar Straßen weiter sitzt Ihar Hermantschuk in seiner verwaisten Redaktion und zeigt stolz die jüngste Ausgabe der oppositionellen Wochenzeitung Swaboda (Freiheit) vor. Und dieser Stolz ist berechtigt. Unter dem Druck des Transportministers haben erst die staatliche Druckerei und dann der staatliche Vertrieb der Zeitung die Verträge fristlos gekündigt.

„Wenns hart auf hart kommt, lassen wir wieder in Litauen drucken und schmuggeln die Zeitung herein“, zuckt Hermantschuk mit den Schultern. „So war das schon mal, bevor Weißrußland unabhängig und Stanislaw Schuschkewitsch zum Staatsoberhaupt gewählt wurde.“

Langsam scheinen diese Zeiten wieder zurückzukehren. Hermantschuk prognostiziert: „Es ist unwahrscheinlich, daß die Wahl mit einer absoluten Mehrheit entschieden wird. In die zweite Runde kommen wahrscheinlich Kebitsch und einer der demokratischen Kandidaten, Schuschkewitsch oder Paznjak. Wenn Kebitsch meint, nicht gewinnen zu können, wird er den zweiten Wahltermin in die Ferien legen, den Arbeitern der Staatsbetriebe und Kolchosen freigeben und so die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent senken. Dann muß die gesamte Wahl wiederholt werden.“

In Minsk ist allerdings eine andere Variante verbreiteter: die Verhängung des Ausnahmezustands. Um Preiserhöhungen vor den Wahlen zu vermeiden, hat die Regierung Preisstopps verfügt und die Notenpresse auf Hochtouren gebracht. Wenn nach den Wahlen der Damm breche, habe man die Arbeiter auf der Straße. Als die weißrussische Opposition im November einen Mißtrauensantrag gegen Kebitsch im Parlament einbrachte und vor dem Gebäude einige hundert Demonstranten den Rücktritt der Regierung forderten, ließ diese das Gebäude von Truppen umstellen. Hermantschuk: „Heute wissen wir, daß auf die umliegenden Gebäude sogar Scharfschützen verteilt worden waren.“

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