: Läuft es vielleicht zu rund?
Die Leistungen stimmen, die Laune vor dem heutigen Spiel gegen Ecuador ist prima: Klinsmanns Plan scheint aufzugehen. Doch ein echter Prüfstein steht dem DFB-Team erst im Achtelfinale bevor
AUS BERLIN MARKUS VÖLKER
Von Marcello Lippi, Coach der Squadra Azzurra, ist ein Geheimrezept für den gepflegten Umgang mit Nationalspielern überliefert. Man müsse die Herrschaften nur ein bisschen bei Laune halten, dann laufe der Laden schon. Viel könne man in den kurzen Phasen des Beisammenseins eh nicht ausrichten, meint Lippi.
Jürgen Klinsmann sieht das natürlich anders. Der Bundestrainer glaubt daran, dass mit Planung, Akribie und Budenzauber vieles möglich ist, sogar der WM-Titel. Die Elitespieler sollten sich in ihrer All-inclusive-Fußball-Oase wohl fühlen, das schon. Aber darüber hinaus achtete Klinsmann auf die Fitness, als hätten die erwählten Spieler keine Fußball-WM vor sich, sondern ein leichtathletisches Großevent, wohlwissend, dass im sommerlichen Deutschland eine Pferdelunge den Ausschlag für die DFB-Elf geben könnte.
Und nicht zuletzt ging es Klinsmann darum, eine Schicksalsgemeinschaft zu schmieden zwischen Spielern und Fans, auf dass sich im Land der Ideen und Fahnenschwenker ein Großkollektiv bilde, das von Euphorie und Zuversicht lebt – und einer ganzen Menge Placebos. Der Glaube an die Wirkung macht’s. Klinsmanns Plan scheint auf verblüffende Weise aufzugehen. Das Team ist topfit. Es fühlt sich wohl im Berliner Grunewald. Es hat beide Vorrundenspiele gewonnen und in der Partie gegen Polen für einen kathartischen Moment gesorgt, den manch einer bereits als Gründungsmythos dieses WM-Teams beschwört.
Nun ja. Heute, am Dientag, steht erst einmal das letzte Vorrundenspiel gegen Ecuador (16.00 Uhr, ARD) im Berliner Olympiastadion an. Es geht um den Gruppensieg und darum, ob die DFB-Elf im Achtelfinale gegen England oder Schweden spielt.
Die Frage ist also: Hat es Klinsmann geschafft, die Mannschaft auf Vordermann zu bringen? Ist sie nun tatsächlich in der Lage, den besten Mannschaften dieses Globus Paroli zu bieten? Nach einer guten Woche WM muss man konstatieren: Sie kann. Es gibt kein deutlich hörbares Knarzen im Räderwerk. Kein Spieler ist ernsthaft verletzt. Niemand feindet sich an. Oliver Kahn gibt brav den Herbergsvater. Die Ersatzspieler gehen im Tischtennisspiel im Garten des Schlosshotels Grunewald auf. Die Startelf hat sich so weit bewährt, zu Umstellungen musste es gar nicht erst kommen. Der Trainerstab darf sich bestätigt sehen.
Die reine Idylle scheint im Lager der Deutschen zu herrschen. Okay, ein paar Kleinigkeiten gibt es offenbar doch. Lukas Podolski gefällt es nicht, dass sich der WDR über ihn lustig macht, und droht mit einer Klage. Und Miroslav Klose verlangt von „Poldi“ forschere Auftritte; er wirke etwas „verkrampft“. Das sind freilich Marginalien. Die Bild-Zeitung tut sich ob der unspektakulären Großwetterlage schwer, brisante Themen zu finden. Viel mehr als die vermeintliche Klose-Klage und der Italia-Trikot-Skandal, den die Süddeutsche Zeitung ganz richtig als „Gesinnungsschnüffelei“ gebrandmarkt hat, ist nicht zu vermelden vom Boulevard.
Läuft es vielleicht sogar zu rund im deutschen Team? Eine Antwort wird man erst nach dem Achtelfinale geben können, wenn der „wirklich erste Prüfstein kommt“ (Jürgen Klinsmann). Schweden ist physisch ähnlich stark wie die Klinsmannschaft. England hat vor einem Spiel gegen Deutschland immer besonders heftige Adrenalinschübe. Aber wie man es auch dreht und wendet: Der Vorteil liegt bei Klinsmann & Co. Sie profitieren vom Heimvorteil, der bei WM-Turnieren fast schon gesetzmäßig wirkt.
1998 haben französische Journalisten vorm Championat kaum ein Wort mit Aimé Jacques, dem Trainer der später siegreichen Equipe Tricolore, geredet, weil sie ihn für einen fußballerischen Kretin hielten. Nach dem WM-Triumph wurde er als Übertrainer gefeiert und in den Rang eines Ritters der Ehrenlegion erhoben. Bei der WM 2002 haben sich die limitierten Südkoreaner im nationalen Überschwang ins Halbfinale geschuftet. Folgt man den Gesetzen der Serie, steht also auch dem DFB-Team der Weg ins Halbfinale offen. Dort könnte sie auf die Mannschaft von Marcello Lippi treffen, den Gute-Laune-Trainer aus Italien.