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Archiv-Artikel

LONG PLAYING RECORD Jukebox - Der musikalische Aszendent

Landflüchtige Folkloren und ein herzliches Holladriho

Im Sommer fährt man gern aufs Land. Urlaubszeit. Frische Luft. Gut gepflegte Natur. Oder man holt sich die heiteren Gefühle bei der Ankunft dort zu sich. In die Stadt. Im Sommer frischt die Folklore auf. Heimatklänge, Tarantella-Festival. Irgendwie doch traditionshaltige Musiken, auch wenn der Sammelbegriff Folklore mittlerweile durch das Etikett Weltmusik ersetzt wurde. Volksmusik wird man in diesem Fach bestimmt nicht finden, weil die abseits der Musikantenstadl nur Schrecken auslöst. Auch weil der keine wirkliche Bodenständigkeit zugetraut wird und sie so überhaupt nichts mit Folklore zu schaffen habe. Eine volkstümelnde Erfindung fürs Fernsehen und die Kassettenrekorder in den Küchen deutscher Eigenheime soll sie ja sein.

Durch die neue Serie in der Bild wird sie bestimmt auch nicht die richtigen Credits bekommen: „Herzilein ist mehr als nur ein Wort“, in der die Superstars der Holladriho-Musik zeigen dürfen, dass sie doch redlich auf dem Land geblieben sind. Und sei es nur deswegen, um mit protzigen Jodelbalkonen den ehemaligen Klassenkameraden in den vornehmlich älplerischen Regionen zu zeigen, dass man es wirklich geschafft hat.

So provinziell möchte man in Sachen Weltmusik natürlich niemals sein. Die Sehnsucht aber schwingt hier immer mit, dass da draußen noch Menschen sind, die sich ihre Lieder von Ohr zu Ohr zuraunen, und der Sohn muss das dann auch singen. Kurz, dass irgendwo die Welt noch patriarchal in Ordnung ist. Echte Folklore eben. Dabei hat man selbst in den Dörfern auf dem Balkan die Hochzeitskapellen längst durch den Alleinunterhalten am Keyboard ersetzt. Man muss sparen. Folklore ist landflüchtig. In den Städten trifft sie sich wieder.

Weltmusik ist Metropolenmusik. Zusammengebaut aus Heimat vom Hörensagen, gut sortierten Plattensammlungen, fast vergessenen Großmüttern und der Chance, dass dort, wo viele sind, auch manche sich finden, die eine ähnliche Sehnsucht haben nach Musik, die ja nur irgendwie echt klingen soll. Auch die Traditionspflege geht am besten, wenn mit den Traditionen gebrochen wird. THOMAS MAUCH