LIEBESERKLÄRUNG : Frankreich
UNTER DEN DEUTSCHEN IST ES MODE GEWORDEN, SICH ÜBER DAS NACHBARLAND ZU ERHEBEN – WIE DUMM, WIE KULTURLOS
Wir waren wandern im Wasgau. Kein Mensch kennt das Wasgau, was diese Landschaft noch verwunschener macht, als sie es ohnehin schon ist. Dort kann es passieren, dass man aus einem deutschen Urwald tritt und plötzlich vor einem französischen Ortsschild steht. Als Kind hat es mich ungeheuer beeindruckt, wie der südliche Pfälzerwald fugenlos in die nördlichen Vogesen übergeht, von denen das Wasgau seinen Namen hat. Hier sind Deutschland und Frankreich noch ein Raum. Und hier schlug meine Frankophilie erste Wurzeln.
Inzwischen hat sie sich selbst zu einem Wald ausgewachsen, in dem die verschiedensten Gewächse brüderlich beieinander stehen: Montaigne, Tocqueville, Moebius, Hydropneumatik, Pont du Gard, Talleyrand, TGV, Canal du Midi, Barbarella, Rochefoucauld, Bergson, Deleuze, Rampling, Bordeaux, Ardèche, Messiaen, Truffaut, Col du Galibier, Beauvoir, Coluche, Goscinny, Noir Désir, Cézanne, und so geht das immer weiter.
Traditionell blickt die strenge Germania auf die Marianne herab wie auf ein etwas liederliches, aber eben doch viel attraktiveres Flittchen. Auch heute noch schwingt in der deutschen Klage über die ökonomische oder soziale Krise in Frankreich diese besondere Überheblichkeit mit, die sich aus dem neidvollen Bewusstsein kultureller Unterlegenheit speist. Sie taugen nix, die Welschen. Aber sie verstehen zu leben. Im linksrheinischen Deutschland übrigens wohnen die Menschen näher an der französischen als an der deutschen Hauptstadt. Nach Paris sind es mit dem ICE von Köln oder Frankfurt nur vier Stunden, während Berlin kurz vor der weißrussischen Steppe und damit weitab jeder echten Zivilisation liegt. Umso mehr darf es jedem Deutschen schmeicheln, wenn er mit Thomas Jefferson sagen kann: „Chaque homme de culture a deux patries: la sienne – et la France!“
ARNO FRANK