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Archiv-Artikel

LIBYEN ROLLT VERFAHREN GEGEN AUSLÄNDISCHE KRANKENHELFER NEU AUF Zahlen oder sterben

Zweifellos ist die Entscheidung des obersten Gerichts Libyens, die Todesurteile gegen fünf bulgarische Krankenschwestern und einen palästinensischen Arzt nicht zu bestätigen und an eine untere Instanz zurückzuverweisen, eine gute Nachricht. Doch jetzt auf einen Sieg der Gerechtigkeit zu hoffen, wie Bulgariens Staatspräsident Georgi Parwanow es diplomatisch formulierte, ist voreilig. Denn von Gerechtigkeit kann in diesem an Absurditäten reichen Verfahren keine Rede sein. Vielmehr ging und geht es dem Gaddafi-Regime darum, der Öffentlichkeit Sündenböcke zu präsentieren, um das eigene Versagen zu vertuschen und daraus auch noch Kapital zu schlagen.

Schon seit Jahren bietet Tripolis – allen Beweisen und Zeugenaussagen zum Trotz – Sofia an, gegen entsprechend hohe Entschädigungszahlungen an die Opfer und deren Familien die Todesurteile aufzuheben. Kein Zufall ist wohl auch, dass nur zwei Tage vor dem Verdikt des obersten Gerichts die Bildung eines internationalen Hilfsfonds für die HIV-infizierten libyschen Kinder vereinbart wurde. Da über die Höhe der Fondsmittel noch Stillschweigen bewahrt wird, ist davon auszugehen, dass Tripolis während des anstehenden neuen Verfahrens versuchen wird, den Preis noch weiter in die Höhe zu treiben. Zahlen oder sterben, so lautet die Devise.

Doch nicht zuletzt ein weiterer Umstand dürfte maßgeblich zum vorsichtigen Zurückrudern der libyschen Seite beigetragen haben: der Druck der internationalen Gemeinschaft. Immerhin ist zwischen Libyen und dem Westen seit einiger Zeit ein Prozess der Annäherung zu beobachten. Eine Bestätigung der Todesurteile und die zwangsläufige Vollstreckung der Kapitalstrafe hätte Tripolis auf internationalem Parkett aufs Neue isoliert.

Ein Freispruch der unteren Instanz würde Staatschef Gaddafi helfen, diese Entwicklung abzuwenden und dabei sein Gesicht zu wahren. Ein Sieg der Gerechtigkeit wäre er aber nur dann, wenn das Gericht wichtiges Beweismaterial auch endlich einmal zur Kenntnis nähme: die Expertisen international renommierter Fachleute sowie den Umstand, dass Aussagen der Beschuldigten erfoltert wurden. BARBARA OERTEL