LEUCHTEN DER MENSCHHEIT BARBARA BOLLWAHN : Die Nische als Kraftfeld ausleuchten
Noch immer gibt es Aufklärungsbedarf über Nischen in der DDR. Privatgalerien waren so eine Nische. Obwohl sie unerwünscht waren, gab es sie, die Staatssicherheit ermittelte wegen des Verdachts des Zusammenschlusses zur Verfolgung gesetzwidriger Ziele oder staatsfeindlicher Hetze. Das im Christoph Links Verlag erschienene Buch „Kunst im Korridor“ (2013) beleuchtet Privatgalerien „zwischen Autonomie und Illegalität“ und fragt, wie sie im zentralistischen Kunstbetrieb möglich waren, welche Motive die Akteure hatten, wie sie an ihre Freiräume kamen.
Die Autorin Yvonne Fiedler, Jahrgang 1976, Studium der Geschichte, Journalistik und Kunstgeschichte, hat 42 Galerien dokumentiert und untersucht, die in Wohnungen, Ateliers und Abrisshäusern untergebracht waren. Sie hießen „Mumpietz“, „Galerie Stiefmütterchen“, „Konkret“ oder „Galerie im Fenster“. Nicht der Handel mit Kunst stand im Mittelpunkt, sondern die Präsentation und vielleicht die Vermittlung von Kunst. Während es bis Ende der 1960er Jahre nur eine Handvoll gab, stieg ihre Zahl Ende der 1970er Jahre stetig an und erreichte 1988/89 ihren Höhepunkt.
In sieben Fallstudien unterzieht die Autorin diese einer „mikrohistorischen Analyse des Kräftefeldes“, in dem sich Galeristen, Besucher, Funktions- und Amtsträger bewegten. Sie kommt zu dem Schluss, dass es „keine verbindlichen Regeln“ der staatlichen Organe gab. Ein Teil der Galeristen formulierte „im Rückblick“, sie hätten „Mitbürger zum Ausloten von selbst gesetzten oder von außen vorgegebenen Grenzen animieren wollen“.
1991 existierten nur noch acht dieser Privatgalerien, von denen sich drei auf dem internationalen Kunstmarkt etabliert haben. Die wohl bekannteste dürfte die 1983 in Leipzig von Judy Lybke gegründete Eigen + Art sein. Lybke hatte Mitte der 80er Jahre Neo Rauch entdeckt, dessen Werke mittlerweile in Kunstsammlungen weltweit hängen. Dass Lybke heute zu den führenden Händlern für zeitgenössische Malerei gehört, mag auch daran liegen, dass er in der DDR so lebte, als gehöre ihm die Welt, die ihm seit dem Mauerfall offensteht.
■ Die Autorin ist Schriftstellerin und schreibt für die taz