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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Nach-uns-die Sintflut-Kapitalisten

■ betr.: „Jetzt sollen die Schlichter ran“, taz vom 5. 6. 15

Schade, dass es auch meiner Lieblingszeitung nicht gelungen ist herauszuarbeiten, worum es im „Kita-Tarifstreit“ eigentlich geht. Die Sozial- und Erziehungsberufe im öffentlichen Dienst haben seit 2009 einen eigenen Tarifvertrag (TvöD SuE) und die Entgeld- und Eingruppierungsordnung dazu muss neu verhandelt werden, weil der Vertrag 2015 ausläuft! Aber warum überhaupt ein eigener Tarifvertrag für SuE? Weil dieses Tätigkeitsfeld von mehrheitlich teilzeitbeschäftigten, zuverdienenden Frauen beackert wird!

Aber sind die Forderungen der Gewerkschaften wirklich zu hoch, so wie es die Arbeitgeber formulieren, weil wir uns angemessen entlohnte Sozial- und Erziehungsberufe nicht leisten dürfen? Oder ist es nicht eher so, dass unsere Ansprüche an die Ergebnisse dieser Tätigkeiten zu niedrig sind? Wie sähe die Alternative aus? Attraktive Berufe, anerkannte, wertgeschätzte Arbeit mit und für Menschen, weil die Gesellschaft verstanden hat, dass Erziehung und Bildung zukünftig noch wichtiger sein werden, um die komplexen, globalen „Weltprobleme“ zu lösen! Leider haben bei uns aber die „Nach-uns-die-Sintflut-Kapitalisten“ und ihre parlamentarischen Handlager das Sagen.

Die Gewerkschaften und wir Sozial- und Erziehungsberufler dachten doch naiv, die Eltern und deren Arbeitgeber säßen mit in unserem Boot! Pustekuchen! Da sich die Eltern inzwischen erpressbar fühlen, weil sie auf die Betreuung ihres Nachwuchses in Kitas, Schulen und Jugendeinrichtungen angewiesen sind, um weiter reibungslos zu funktionieren und erwerbstätig zu sein, haben die SuE-Beschäftigten trotz ihrer Systemrelevanz und alternativlosen Angebote wenig Druckmittel! Tja, liebe SuE-Beschäftigte: Falscher Beruf! Liebe Eltern: Die gesellschaftlichen Probleme werden die Damen und Herren der kommunalen Arbeitgeber für euch nicht lösen! Dafür bräuchte es aufgewerteten und gut bezahlten Sachverstand in SuE!

TILL MEINRENKEN, Freiburg

Unkritisches Interview

■ betr.: „Das passt nicht ins Tarifgefüge“, taz vom 5. 6. 15

Ich finde es schade, dass die Aussagen von Thomas Böhle unkommentiert stehen gelassen werden. Die „Wirklichkeit“, von der Herr Böhle spricht, dass ErzieherInnen bis zu 3.750 Euro verdienen, bezieht sich vermutlich auf das Bruttogehalt einer Vollzeit angestellten und auch Vollzeit arbeitenden Fachkraft nach vielen, vielen Dienstjahren. Meine Recherchen in der aktuellen Tariftabelle zeigt mir ein Höchstgehalt von rund 3.290 Euro brutto (oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/tvoed/sue?id=tvoed-sue-2015&matrix=1). Wie auch im Interview deutlich wird, stufen nur wenige Städte die angestellten ErzieherInnen höher ein. Herr Böhle lässt den Eindruck entstehen, dass die Forderung der Erziehungs- und Sozialberufe übertrieben ist. Leser, die sich im Tarifgefüge nicht auskennen, können sich seiner Argumentation sicher anschließen. INA ZAPFF, Dresden

Was genau ist die Story?

■ betr.: „Bitte nicht spenden!“, taz vom 5. 6. 15

Hey taz, ja, es ist eine schöne Steilvorlage, wenn die Linke grundsätzlich keine Spenden von Unternehmen mehr möchte und sich dann damit auseinandersetzen muss, ob ein Ortsverein bei seinen Veranstaltungen Wurst vom Metzger um die Ecke annehmen darf.

Aber während eine Partei sich also wegen einiger Würstchen um ihre Unabhängigkeit sorgt, nimmt der Rest vom Fest laut Artikel jedes Jahr ganz entspannt Unternehmensspenden in sechsstelliger Höhe an, ohne sich derartige Gedanken zu machen. Ebenso selbstverständlich sind Parlamentarier, die ihr Mandat nur als mäßig lukrative Tätigkeit unter vielen oder gleich als Asset für die Bewerbung bei zukünftigen Brötchengebern zu verstehen scheinen. Die Konsequenz sind Abstimmungen über Gesetzesvorlagen, die einige Volksvertreter vor lauter Zeitnot gar nicht gelesen haben können – wenn sie überhaupt anwesend sind – und bei denen es zumindest gelegentlich zu Interessenkonflikten kommen dürfte. Und was genau ist jetzt die Story, über die mit leicht amüsiertem Kopfschütteln berichtet wird? Natürlich die mit der Wurst. MICHAEL SCHÖFFSKI, Köln

Cem Özdemir fühlt sich gehemmt

■ betr.: „Cem Özdemir macht ernst“, taz vom 6. 6. 15

Ich schätze ja Peter Unfried sehr, weil er „meine“ Grünen gut kennt. Aber hier irrt er. Der Parteivorsitz der grünen Partei ist nicht dafür gedacht, sich zu profilieren, sondern die grüne Programmatik zu vertreten und nicht die eigene, persönliche Agenda durchzusetzen. Daher kommt Özdemirs Vorstoß, die Quote anzugreifen – was man ja in der Politik mit solchen Sätzchen, die man dann nicht so gemeint haben will, ja gerne macht –, weil es ihn hemmt.

Man muss sich an 2008 erinnern, um es zu verstehen: Özdemir scheiterte bei der Listenaufstellung für den Bundestag auf Platz 8 gegen Alexander Bonde, verließ erbost den Parteitag vor der Wahl zu Platz 10 und wollte dann auf einmal Bundesvorsitzender werden. Vier Jahre später dann – man „beschädigt ja den Bundesvorsitzenden nicht“, so denken Realos – wird er Spitzenkandidat in Baden-Württemberg. Jetzt will er mehr – und „meine“ Partei in Zusammenarbeit mit den großen und kleinen Realofürsten aus den Ländern in die Mitte schieben. Da stört natürlich eine Quote, die ja nicht nur Mann/Frau repräsentiert, sondern eben auch die Flügel. Eigentlich bräuchte man heute drei Vorsitzende: eine noch für die flügelunabhängigen. Die werden angesichts solcher Agenden hoffentlich mehr und mehr. Vielleicht gibt es dann im Herbst einen männlichen Bundesvorsitzenden, der keinem Flügel angehört. JÖRG RUPP, Malsch