LESERINNENBRIEFE :
Eine seltsame Sache
■ betr.: „Ich bin wer, den du nicht siehst“ von Emilia Smechowski, taz vom 2.5. 15
Ihren Artikel über die polnischen „Super-Migranten“ habe ich mit Interesse gelesen, zum Teil zustimmend, aber auch ein wenig genervt, ein wenig belustigt.
Offensichtlich hat die Autorin sich weiterhin nicht mit dem Makel abgefunden, der einem Migranten ein Leben lang anhaftet. Da kann man promovieren, so viel man will, man bleibt doch Mensch zweiter Klasse. Beim Versuch, diesen Umstand durch Rückbesinnung zu überwinden scheint mir das Grundproblem nicht verstanden. Ich arbeite im internationalen Kontext. Daher erlebe ich fast tagtäglich dasselbe Phänomen: In interkulturellen Zusammenhängen verunsicherte Menschen versuchen sich zu stabilisieren, indem sie generalisiert Aspekte der fremden Kultur bespötteln und die Stärken der eigenen hervorzuheben versuchen. Verschärfend wirkt, wenn die zu Felde getragenen Errungenschaften der Herkunftskultur in neuer Umgebung bestenfalls auf Desinteresse stoßen.
Da helfen auch keine Hipster-Videos, handle es sich nun um Softporno, Ironie oder verdeckten Nationalismus. Wer sich indessen durch die Menge der Klicks als Gewinner wähnen will, dem sei das unbenommen. Ich gönne auch jedem Fußballfan den Sieg seiner Mannschaft. Soziale Identität ist eine seltsame Sache und glückliche Menschen sind friedlicher.
Nein, die Polen sind keine Supermigranten. Die meisten Polen sind Wirtschaftsmigranten. Was ich als legitimen Grund betrachte, gleich, woher man kommt. Bei meiner Familie war das nicht anders, auch wenn es zur Einwanderung 1979 einer anderen Argumentation bedurfte. Wer auswandert, möchte sich im Rahmen des eigenen Interesses und der eigenen Möglichkeiten integrieren. Wer es kann, kompensiert die soziale Herabstufung durch gute Noten, andere anders. Und wer bleibt, verliert seine ursprüngliche Identität, schrittweise, mehr und mehr. Auch das ist ganz normal. Der Mensch setzt sich mit seiner Umwelt auseinander und entwickelt sich weiter.
Die schwierigsten Begegnungen habe ich heute mit Polen. Ein Phänomen, von dem mir andere alteingesessene Auswanderer vergleichbar berichten. Stolpert ein Neumigrant über einen Altmigranten, ist er überrascht. Was macht der Pole hier? Üblicherweise kommt es jetzt zu einer Doppelstrategie. Erstens, dem Etablierten wird die Qualifikation abgesprochen, damit die Daseinsberechtigung, er soll den beanspruchten Platz räumen. Zweitens kommt es zu einem Bündnisversuch gegen das verunsichernde und daher als feindlich erlebte Gastland. Wehe dem Altmigranten, der inzwischen abweichende Vorstellungen entwickelt hat, die Umwelt wohlmöglich als stichhaltiges Argument gelten lässt. Für den Neuankömmling ist die Sache damit klar. Es handelt sich um einen Verräter, der deutscher sein will, als die Deutschen.
Ein Pole bin ich schon lange nicht mehr. Nur verstehe ich vieles besser als Deutsche, die mit der polnischen Kultur wenig in Berührung waren. Ein Deutscher werde ich hingegen niemals werden.
Kommt aus Portugal eine neue Kollegin ins Team, wundert sie sich, dass hier Polen arbeiten. Kommt französischen Kunden Geld abhanden, legt der Name den Verdacht nahe. Traurig wird’s, wenn Kollegen, die einen ein Jahrzehnt kennen, nicht widersprechen. Die Liste ließe sich unendlich fortführen. Ist das unangenehm? Ja. Ist es normal? Auch das. Andere Menschen haben andere Sorgen.
Wenn ich sagen soll, was ich heute bin, dann wohl Europäer. Was genauso zutreffend und vage ist, wie es klingt. Ob zum Studium in England, auf Reisen in Spanien, in Deutschland oder auch Polen. Ich fühle mich überall vergleichbar wohl und bleibe überall ebenso fremd. JACEK IWASZKIEWICZ, Berlin
Viele Züge stehen still …
■ betr.: „Bahnstreik: Merkel hofft auf Schlichter“, „Der notwendige Streik“, taz vom 5. 5. 15
Wohin soll das noch führen?!
Mittlerweile ist der Bahnstreik schlichtweg unerträglich.JULIA ENGELS, Elsdorf