LESERINNENBRIEFE :
■ betr.: „Kinder werden für die Wut benutzt“,Interview mit Levi Salomon, taz zwei vom 20. 4. 09
Fremdenhass und Antisemitismus
Als 1992 in Rostock-Lichtenhagen Jagd auf Vietnamesen gemacht wurde, als 1992 in Mölln und 1993 in Solingen türkische Familien verbrannt wurden, 1994 in Lübeck ein Nebenraum der Synagoge angezündet wurde, da war selbstverständlich der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland zur Stelle: Ignatz Bubis kämpfte mit dem Gewicht seiner Person und seines Amts gegen Fremdenhass und Judenhass.
So war es früher. Heute dagegen verkündet Levi Salomon, der „Beauftragte zur Bekämpfung des Antisemitismus“ der Berliner Jüdischen Gemeinde – der größten Gemeinde Deutschlands – in der taz: „Rassismus und Antisemitismus werden häufig zusammen behandelt. Aber […] Fremdenfeindlichkeit [und] Antisemitismus […] sind zwei ganz unterschiedliche Phänomene.“ Armer Ignatz Bubis. War er da etwa auf dem falschen Dampfer? Ich denke, dass Bubis richtiglag. Der Schlüssel zum Verständnis ist, dass das, was Herr Salomon „Antisemitismus“ nennt, gar nicht Antisemitismus ist, und daher auch tatsächlich nicht Fremdenhass ist. Herr Salomon nennt es Antisemitismus, wenn sich Leute über Menschenrechtsverletzungen von Israels Staatsorganen gegen Palästinenser empören. Aber diese Empörung ist berechtigt, und sie bedeutet, dass man für die universelle Geltung von Menschenrechten eintritt. Herrn Salomons Kampf gegen diese Empörung hat logischerweise nichts mehr mit Ignatz Bubis’ Kampf gegen Fremdenhass zu tun, sondern ist ein Kampf dafür, dass Israels Staatsorgane immun gegen Kritik sein sollen.
Nach Lage dieser Dinge sollten wir Juden weniger über den Islam philosophieren – wie Herr Salomon –, sondern über unser Judentum. Wir müssen uns wohl neu klarmachen, dass vom Standpunkt der jüdischen Tradition die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen der israelischen Staatsorgane durch nichts zu rechtfertigen sind. Wir müssen Schluss machen mit der Doppelmoral. Nur dann sind wir glaubwürdig, wenn wir Judenhass bekämpfen. ROLF VERLEGER, Lübeck
■ betr.: „Kinder werden für die Wut benutzt
Der Maßstab der Demokratie
An Israel wird nicht oft ein „anderer“ Maßstab angelegt, sondern der Maßstab der Demokratie. Ein Staat, der von sich behauptet, eine Demokratie zu sein, kann nicht jahrzehntelang dem einen Teil der Bürger Rechte verweigern, die der andere Teil genießt, ihm Häuser und Land enteignen, um den anderen Teil dort bevorzugt anzusiedeln, immer mehr Segregationspolitik betreiben und sich dann darüber empören, dass die Berichterstattung darüber „einseitig“ sei und es quasi nur der richtigen Darstellung bedürfe, dass eine solche Politik als demokratisch verstanden werden kann. Um die Instrumentalisierung der Kinder der Siedler, die gezwungen werden, in den besetzten Gebieten heranzuwachsen, und die dort bestimmt nicht zu Demokraten erzogen werden, scheint sich im Übrigen niemand große Sorgen zu machen. MANUELA KUNKEL, Stuttgart
■ betr.: „Kinder werden für die Wut benutzt“
Kritik dürfte angebracht sein
„Der Opfermythos wird ausgenutzt“, sagt Levi Salomon und meint damit, dass Demonstranten gegen Israel ihre Kinder politisch instrumentalisieren, um Israels Politik zu „dämonisieren.“ Die israelischen Regierungen haben besonders in den Jahren 1945 bis 1947 v. a. unter der Führung Ben Gurions an ihren Mythen gestrickt, die bis heute zuverlässig halten – nachzulesen bei Ilan Pappe und Simcha Flapan, keine internationalen Historiker und Schriftsteller, sondern israelische. Die sieben Mythen, die bis heute das Handeln israelischer Regierungen zu rechtfertigen scheinen, sind inzwischen fundiert widerlegt.
Wenn Levi Salomon sich auf Legendenbildung beruft, muss man ihm den Vorwurf machen, dass er diese selbst benutzt. Die Instrumentalisierung von Jugendlichen und Kindern aus Migrantenfamilien muslimischen Ursprungs ist ungerechtfertigt, zumindest was palästinensische Einwanderer betrifft, da diese anzahlmäßig nicht einmal in der Statistik des Bundesamts für Statistik erfasst sind (unter 0,1 %). Wenn man jedoch sieht, dass eine unabhängige Schweizer Presse 288 tote Kinder während der letzten Auseinandersetzung registriert und dazu 121 Frauen, dürfte eine Kritik an der israelischen Regierung angebracht sein.
MONIKA und WOLFGANG KLAIBER, Weilheim
■ betr.: „Kinder werden für die Wut benutzt“
Billige, undifferenzierte Polemik
Proteste gegen die Politik Israels haben zunächst einmal mit Antisemitismus gar nichts zu tun, sondern mit der Politik der israelischen Regierung und deren Auftreten zum Beispiel im Gazastreifen. Und die weiß-blaue Fahne mit dem Zionstern ist die Staatsfahne Israels, nicht unbedingt das Kennzeichen jüdischer Menschen.
Die Kritik eines wesentlichen Teils der israelischen Bevölkerung an dem Vorgehen des Staates Israels gegen die Palästinenser oder die israelisch-arabischen Mitbürger ist immanent und öffentlich. Besteht dieser Teil der israelischen Bevölkerung aus Antisemiten? Sie sind seelisch und tatsächlich Betroffene, die meisten von ihnen jüdisch. Hier wird billige, undifferenzierte Polemik betrieben.
ERNST-FRIEDRICH HARMSEN, Berlin
■ betr.: „Alle brauchen Althaus, auch Merkel“, taz vom 21. 4. 09
„Nein, will ich nicht“
„… seien wir doch ehrlich: Mehrheitlich wollen wir entschlossene Macher, keine Denker an der Spitze.“ Nein, will ich nicht! Ich will keine Politiker, die über Leichen gehen, keine Inhalte haben und nur an Macht interessiert sind. Und ich abonnierte eine Zeitung, die ich auf meiner Seite wähnte. Dies scheint nicht mehr so. ULRICH KIMMIG, Tübingen