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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Etablierter Zynismus

■ betr.: „Foltern und fördern“, taz vom 22. 2. 12

Bei der Bilanzierung der Hartz-IV-„Reform“ wird leider immer wieder das eigentlich Furchtbare unterschlagen, dass nämlich der sogenannte „Niedriglohnsektor“ (also all diese Arbeitsverhältnisse, die das „Prekariat“ hervorgebracht haben) überhaupt erst durch die Agenda 2010 gesetzlich zementiert wurde. Vor der „Reform“ des Sozialgesetzbuches war es noch ein Skandal, dass – durch die Deregulierungen des Tarifsystems – Arbeitsverträge zumutbar sein sollten, die – für sich genommen – kein Leben mehr verdienen ließen. Doch auf einmal gab es diese „Normalität“ der sogenannten „Ich-AG“, also der Möglichkeit von (bzw. dem Zwang zu) mehreren gleichzeitigen Minijobs, und schließlich gab es gar den etablierten Zynismus der sogenannten „Ein-Euro-Jobs“, die immer mehr Arbeitsverhältnisse vernichtet statt geschaffen haben, ohne aus der Arbeitslosigkeit zu befreien … PETER KOLDITZ, Marburg

Vertrauen zurückgewinnen

■ betr.: „Gedenkfeier für die Neonazi-Opfer“, taz vom 24. 2. 12

Gut formulierte Politikerreden oder Lichterketten bewirken gar nichts, wie wir aus der Vergangenheit nur allzu oft feststellen mussten, wenn nicht auch endlich politische Taten folgen. Die Ernsthaftigkeit der Entschuldigung von Bundeskanzlerin Merkel wird deshalb erst an ihren Taten in der Zukunft gemessen werden können. Und dazu gehört eine intensive Aufklärung der Fehler und Versäumnisse des Verfassungsschutzes und der Polizei. Eine konsequente Strukturreform muss her, denn es geht nicht an, dass falsch verstandener Korpsgeist vernünftige Ermittlungsarbeit verhindert. Vor allen Dingen aber muss Vertrauen zurückgewonnen werden, denn man wird leider den Verdacht nicht los, dass diese sogenannten Ermittlungspannen bei den Nazi-Morden nicht versehentlich, sondern absichtlich verursacht wurden! THOMAS HENSCHKE, Berlin

Verniedlichung im Dienst der Täter

■ betr.: „Pathos statt Analyse“, taz vom 24. 2. 12

Einverstanden, die zurzeit aktuelle Person – und mehr als sie das Amt selbst, möchte ich ergänzen – mögen antiquiert sein. Doch – und da protestiere ich entschieden – die Verniedlichung von Post-/Kommunisten (und des Regimes der DDR/der anderen Satelliten/ … der UdSSR) – finde ich genauso arrogant, wie es die Verharmlosung der Post-/Nazis war. Sie dient nur dazu, die Täter und ihre Pfründen in die neuen Zeiten hinüberzuretten. Nach 1989 bis heute genauso, wie es in den Jahrzehnten nach dem Krieg geschah. Im Weiteren protestiere ich dagegen, dass Micha Brumlik Timothy Snyder missinterpretiert, um die Verniedlichung zu stützen. Denn der Ansatz, den Snyder vertritt, ist das Verständnis, der erste Schritt zu Konfliktbewältigung. Dazu gehört auch, dass man die Täter nennt. Erst danach können die Versöhnung und der Dialog beginnen, die weiteren Schritte.

Eine Verniedlichung steht im Dienst der Täter, schürt die alten Konflikte und sät neue. VLADIMIR ROTT, Berlin/Zürich

Zweifel an Ehrlichkeit

■ betr.: „Großer Zapfenstreich für Christian Wulff“, taz vom 25. 2. 12

Inzwischen zweifele ich an der Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit dieser Bundesrepublik. Wegen „zweifelhafter Verhaltensweisen“ bis zu Ermittlungen durch eine Staatsanwaltschaft soll der zurückgetretene Bundespräsident Christian Wulff nun noch mit einem Großen Zapfenstreich verabschiedet werden. Was geht nur in den Köpfen der politischen Elite vor? JÜRGEN STAUFF, Hamburg