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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Nur Zeit zum Wickeln und Füttern

■ betr.: „Wer Kinder betreut, braucht Kenntnisse“, taz vom 31. 5. 12

Ich wundere mich schon als Fachkraft für Kinder, welche Experten bei Ihnen zu Wort kommen. Herr Diederich sagt, dass in einer Kinderkrippe eine Erzieherin 10 bis 12 Kinder unter drei Jahren betreuen kann. Das müsste er erst mal zeigen, wie so etwas aussehen könnte. Zu meinen, dass man bei diesem Personalschlüssel noch Zeit hätte, mit den Kindern zu spielen, zeigt, wie die Theorie von der Praxis abweicht. In solch einem Fall wäre es nur möglich, die dringenden Pflegemaßnahmen wie Wickeln und Füttern vorzunehmen, ein Kind, welches nach der Mama weint, könnte eine ErzieherIn sicher nicht trösten, da sie/er dafür keine Zeit hätte. Wie soll man eine Beziehung zum einzelnen Kind herstellen, die so existenziell wichtig gerade in diesem Alter ist, wenn so viele Kinder in einer Gruppe sind?

In anderen Ländern ist die Betreuung wesentlich besser, in England beispielsweise liegt der Schlüssel bei vier Kindern unter drei Jahre pro ErzieherIn. Herr Diederichs! Gehen Sie in die Einrichtungen und helfen Sie praktisch mit, Sie werden eine realistische Einschätzung der Bedürfnisse der Kinder bekommen! P. T., Hannover

Geschichtliche Demenz

■ betr.: „Sind Konservative die wahren Rebellen“, taz vom 30. 5. 12

Was ist rechts – was ist links? Lechts und rinks kann man nicht verwechsern! Oder man lässt es ganz. Ich frage dagegen: Was ist Theorie und was ist Praxis?! Dadurch kommt man den Einstellungen zu den Inhalten näher. Da gibt es eigentlich keine Frage, ob jemand rebellisch, konservativ, links oder rechts eingestellt ist, wir können es an den Taten ablesen. Was ist gut und was ist gefährlich oder sogar kriminell? Es gibt die geistigen Brandstifter, die Hetzer und Demagogen, links wie rechts. Doch wenn es um Inhalte geht, dann gibt es eine klare Adresse, und die steckt in der Philosophie der Aufklärung, Grundlage der Menschenrechte: Freiheit, Gleichheit und Menschlichkeit (erweitert um die Ehrfurcht vor dem Leben). Erst wenn wir für diese Ziele und für deren praktische Umsetzung im Alltag einstehen, dann verblassen Begriffe wie rechts und links, konservativ oder fortschrittsgläubig.

Um es mit Willy Brandt zu sagen: Lebensqualität ist das Ziel, aber eben nicht Gleichgültigkeit und geschichtliche Demenz, die bei Leuten wie Jan Fleischhauer im fortgeschrittenen Stadium erkennbar ist. JOHANNES SPARK, Bremen

Elitäres sehe ich da nicht

■ betr.: „Die neue Elite“, taz vom 24. 5. 12

Kleine Ergänzung zu Ihrem Artikel über Gesamtschulen (ich bin seit 20 Jahren Sozialpädagoge). Die Auswahl der SchülerInnen an Gesamtschulen muss möglichst ausgewogen in Bezug auf einen möglichen größeren Einzugsbereich sein. In Göttingen mit im Moment im Stadtbereich 5 Gymnasien, 2 Gesamtschulen mit Oberstufe, 2 Realschulen und 2 Hauptschulen fällt er so aus wie er im Moment ist, mit vielen mit Gymnasialempfehlung und wenigen mit Hauptschulempfehlung. In einer Stadt wie Hannover oder Wolfsburg sähe es nach gleichem Prinzip anders aus. Und wenn es nur Gesamtschulen gäbe, müsste man meiner Ansicht nach auch ein Verteilungssystem finden. Nur stadtteilbezogen gäbe es sehr viele Schieflagen. Die Chance für Kinder mit verschiedensten Voraussetzungen an jeder Schule bedarf irgendeiner Form von Verteilung, Elitäres sehe ich da nicht. RALF SCHÖNMANN, Göttingen

Schluss mit Landarztpraxis

■ betr.: „Einzelpraxis nicht mehr attraktiv“, taz vom 26. 5. 12

Jetzt freue ich mich aber, mache sofort meine Landarztpraxis zu und lasse mich in einem großstädtischen Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) anstellen, oder arbeite gerne mit den Kollegen im Netz zusammen, die ich fachlich und menschlich noch nie gutheißen konnte. Und weise demjenigen Krankenhaus zu, das die Kassen – weil am billigsten – auserkoren haben, obwohl ich weiß, dass die Qualität nicht stimmt. Natürlich erübrigen sich dann Fangprämien.

Aber im Ernst: Bei jeder selbstständigen Hebamme, die aufhört, trauert ihr. Bei selbstständigen Ärzten hingegen scheint ihr euch zu freuen. Jedoch in beiden (!) Bereichen geht es um die Alternativen Individualität/individuelles Eingehen auf die Bedürfnisse des Patienten und persönliche Bindung versus standardisierte anonyme Massenabfertigung durch Krankenhäuser bzw. MVZ.

MVZ sind übrigens keine sozialistischen Kollektive, sondern überwiegend vom Großkapital betriebene Einrichtungen mit entsprechender Behandlung des auch ärztlichen Personals (Rhönklinikum, Asklepios etc.). Es gibt in Deutschland bereits Regionen, in denen Patienten, die nicht standardisiert behandelt werden können, in Krankenhäuser nicht aufgenommen werden.

Neunzig Prozent der angehenden Ärzte wollen angestellt arbeiten? Wenn das stimmt, dann zum Beispiel deshalb, weil die Verdienste wohl doch nicht so groß sind und die Risiken erheblich wachsen. Der Verdienst in realer Kaufkraft bei einem Kassenpatienten betrug pro Quartal vor 30 Jahren etwa das Dreifache gegenüber heute. Ich zahle im Übrigen mein Personal nach Tarif, wohne zur Miete und fahre einen zehn Jahre alten VW Passat. Aber: Ich arbeite ohne Chef und verstehe mich auch als Anwalt der Patienten.

Ein Schelm, der meint, dass es hier nicht massive finanzielle Interessen und entsprechende Lobbyarbeit gibt. Und da sind Hausärzte im Vergleich zum Großkapital – zum Beispiel Krankenhausgesellschaften und Pharmaindustrie – ziemlich kleine Lichter.

KLAUS GRIMMELT, Porta Westfalica