LESERINNENBRIEFE :
Hinter die Aufklärung zurück?
■ betr.: „Zurück zum Fleischhauer, taz vom 28. 6. 12, „Der Kampf um die Vorhaut“, taz vom 29. 6. 12
Als Chirurg, der des Öfteren mit der Frage Beschneidung unter dem Deckmantel Vorhautverengung konfrontiert war, begrüße ich das Urteil des Kölner Gerichts zur Beschneidung. Die Beschneidung männlicher Säuglinge und Kinder ist ebenso wenig zu dulden wie die Beschneidung von weiblichen Kindern, egal, ob dahinter eine religiöse oder soziokulturelle Identitätsfindung steckt.
Beide Artikel wecken eher Verständnis für diese archaischen Prozeduren. Will man uns hinter die Aufklärung zurückversetzen? Dass bei uns der Eingriff unter klinisch-hygienischen Bedingungen stattfindet, kann kein Argument sein, er ist schließlich seit Hunderten von Jahren unter anderen Bedingungen durchgeführt worden. Und ginge es um die weibliche Beschneidung, ich bin sicher, der Tenor wäre ein ganz anderer gewesen. Es geht nicht darum, sich über religiöse Riten hinwegzusetzen und sie als „hinterwäldlerisch“ zu verdammen. Aber alle, die hier leben, müssen sich, auch in religiösen und soziokulturellen Dingen, hinterfragen lassen.
CLAUS RUDDE-TEUFEL, Schwalmstadt
Politik und Religion trennen
■ betr.: „Religionsfreiheit beschnitten?“, taz vom 28. 6. 12
Zum Urteil des Kölner Landgerichts zur Beschneidung von Jungen gab es sofort populistische Äußerungen verschiedener Politiker (Guido Westerwelle, Renate Künast). Das zeigt, dass diese sich immer noch nicht ausreichend mit der Frage der Integration auseinandergesetzt haben. Denn sie als Politiker äußern sich zu Fragen der Religion, die nach unserem Verständnis des Grundgesetzes ihre Sache nicht sind. Die Politik ist nicht welchem Gott auch immer verpflichtet, sondern regelt die Angelegenheiten unserer irdischen Gesellschaft und ihrer Werte. Nach diesen Werten haben wir entschieden, dass (s. Gerichtsurteil) ein nicht freiwilliger und nicht heilender Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eben Körperverletzung ist. Politiker(innen) sollten Politik und Religion trennen und die überkommenen Werte der Aufklärung und unsere Grundrechte verteidigen. Das hat das Gericht getan.
Erinnert sei daran, dass mit großem emotionalem Einsatz gegen die Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen über unsere Grenzen hinaus bis in andere Erdteile gekämpft wurde und wird. Die Erfolge sind als zivilisatorische Errungenschaft gefeiert worden. Und nun soll innerhalb unserer eigenen Grenzen das Gleiche für Männer nicht gelten? CHRISTINA REICHELT, Berlin
Eine schwierige Diskussion
■ betr.: „Schweiz. Genitalverstümmelung künftig verboten“, taz vom 1. 7. 12
Heute ist in der taz zu lesen, dass die Schweiz Verstümmelungen weiblicher Genitalien verbietet. Was ist darunter zu verstehen? Gelten unter diesem Begriff auch Vorgänge, die euphemistisch „Vaginal-Verjüngung“ oder „Vagina-Design“ genannt werden und die von Schönheitschirurgen offen beworben und von der AZ jüngst als „Trend“ bezeichnet wurden (Irene Kleber 6. 5. 2012)?
Was Genitalverstümmelung anbelangt, kann ich ganz klar Position beziehen: Niemand darf absichtsvoll körperlich traumatisiert werden! Aber die Diskussion, deren Stimmen in unserem doch immer noch und immer wieder in Teilen sehr rassistischen Land äußerst feinfühlig sein sollten, ist holzhackermäßig.
Mit dem engen Kölner Urteil zur religiös begründeten Vorhautbeschneidung wird der Idee Vorschub geleistet, derart körperfeindliche Handlungen könnten nur jene Religionsgemeinschaften begehen, mit denen sich viele Menschen hierzulande schwertun: Muslime und Juden. Diese Diskussion könnte um eine heftige Kritik an der Körperfeindlichkeit der christlichen Religionsgemeinschaften erweitert werden, die nach wie vor Kinder mit ihrem Himmel-und-Hölle-Szenario in Angst und Schrecken versetzen und deren Scheinheiligkeit und – im katholischen Falle – pädophile Lasterhaftigkeit nicht zu überbieten ist, wie uns die jüngste Zeit offenbart hat! Und das auch noch im staatlich finanzierten Schulunterricht!
Wer möchte hier psychische und körperliche Gewalt gegeneinander ausspielen? Es ist eine sehr schwierige Diskussion, und in Anbetracht der Tatsache, dass in den Klassenzimmern immer noch die Kruzifixe hängen, sollte man nicht mit Steinen nach anderen werfen.
BIRGIT KÜBLER, Regensburg