LESERINNENBRIEFE :
Turbulenzen verwundern nicht
■ betr.: „Gebot der Gerechtigkeit“, taz vom 7. 7. 12
Man kann Gerhard Schick nur zustimmen: angefangen bei der Überschrift, über die besorgniserregenden Zahlen, die die wachsende Ungleichheit deutlich belegen, bis hin zu der Feststellung „dass in den letzten Jahrzehnten die ausgleichende Wirkung des deutschen Steuersystems reduziert wurde“. Den Grünen wird zu Recht vorgeworfen, dieses mitgetragen zu haben.
Man muss aber auch festhalten, dass in vielen entwickelten Ländern genau in jener Entwicklungsstufe, wo hohe Einkommen und Vermögen das erträgliche Maß zu überschreiten begannen, die Steuern darauf gesenkt wurden. Aber mit den Vermögen wuchsen auch die Schulden, „weil jeder Schuldtitel des einen notwendigerweise ein Vermögenswert eines anderen ist“.
Alles richtig. Unverzeihlich ist es jedoch, bei allen Auswüchsen der letzten Jahre eines zu unterschlagen: Unbemerkt, ohne Scheinwerferlicht und völlig unabhängig von der Konjunkturlage ist stetig Geld von Schuldnern zu Gläubigern geflossen, absolut legal. Zins und Zinseszins sind schließlich nichts Verbotenes. Das hat aber dazu geführt, dass der exponentiell wachsende Schuldendienst die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft ab einem bestimmten Zeitpunkt überfordert hat. Da muss sich keiner wundern über die Turbulenzen in den letzten Jahren.
Statt „entfesselte Finanzmärkte wirken wie eine Umverteilungsmaschine“ würde ich sagen: Wer dem exponentiell wachsenden Vermögen (= Schulden) keine spürbare Grenze setzt, darf sich hinterher nicht wundern über die wachsende Ungleichheit in unserem Land. DIETER STOMPE, Erfurt
Wahrheit und Klarheit
■ betr.: „Ökonomen zoffen sich um Euro-Rettung“, taz vom 7. 7. 12
Es geht überhaupt nicht um „links-rechts“, sondern nur um Wahrheit und Klarheit. Wer ein Zinseszinssystem nicht erkennen will, dem ist wahrlich nur schwer zu helfen.
Man nehme: das Zinseszinssystem, Derivate (abgeleitete Finanzprodukte mit wahnwitziger Hebelwirkung und Fiat Money (Geld aus dem Nichts), rühre das Ganze um und die Katastrophe kommt. Katastrophe aus dem Griechischen, bedeutet aber „Umkehr“.
Zur Erinnerung: Über den Euro dürften wir nicht einmal abstimmen. Demokratie? Wenn Einrichtungen wie „Bad Bank“ existieren, dann stinkt das Ganze in alle Richtungen. Alan Greenspan, früherer Chef der US-Notenbank, sagte damals: Der Euro wird kommen, aber er wird keinen Bestand haben. KLAUS-G. WALTHER, Reinbek
Rüstung und katholische Kirche
■ betr.: „Rüstungsexporte stoppen?“, taz vom 7. 7. 12
Da spricht sich die Generalsekretärin von Pax Christi, einer katholischen Friedensbewegung, eindeutig gegen Rüstungsexporte aus, während unser Wirtschaftsminister Philipp Rösler, Katholik und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, das offensichtlich ganz anders sieht. Was ist denn eigentlich die Position der katholischen Kirche?
Hat Jesus nicht gelehrt „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel“? Spricht hier die katholische Kirche nicht mit gespaltener Zunge und ist Pax Christi vielleicht nur der Schafspelz, mit dem sich die katholische Kirche bei Bedarf auch als friedensbewegt präsentieren kann?
Mir ist nicht bekannt, dass sich der Papst eindeutig gegen Rüstungsexporte ausgesprochen hat. Seine Rede im deutschen Bundestag wäre ja eine gute Gelegenheit dazu gewesen. Aber damit hätte er vielleicht die hohen deutschen staatlichen Subventionen an die Kirche gefährdet, mit denen indirekt auch der Vatikan finanziert wird. RALF BÖHM, Berlin
Mystische Initiationsriten
■ betr.: „Beschnittene Meinung“, „Beschneidungen und andere Traumata, taz vom 4. 7. 12
In einer aufgeklärten Zeit wie der unseren haben mystische Initiationsriten, unter denen die späteren Erwachsenen oft leiden, keinen Sinn mehr. Sehr anschaulich dazu der Bericht von Najem Wali in der gleichen taz-Ausgabe über das irreparable Trauma der späten Zirkumzision. Für mich ist unverständlich, dass in den USA das routinemäßige Beschneiden neugeborener Jungen bis vor Kurzem gängige Praxis war. Im Jahr 2000 waren es noch 60 Prozent.
Hilal Sezgins Stellungnahmen schätze ich sehr, erlaube mir aber dennoch zu hinterfragen, ob es gerechtfertigt ist, Kinder auf eine Religion festzulegen, aus der sie sich nur schwer befreien können. Hier findet vonseiten der Erziehungsberechtigten noch immer eine Art Freiheitsberaubung, eine Gefangennahme junger Menschen durch die Väterreligion statt. Man bedenke, dass man nach der unfreiwilligen christlichen Taufe im Babyalter erst mit 14 Jahren und Zahlung einer Gebühr ans Standesamt aus der Kirche austreten kann. Noch schlimmer ergeht es muslimischen Kindern, die aus Tradition, nicht aus religiösem Anspruch, am Penis kenntlich gemacht werden und deren späterer Austritt aus den Fängen ihrer „Glaubensgemeinschaft“ mit Todesstrafe bedroht ist (Apostasie).
Und was maßt sich Minister Westerwelle an, wenn er die Beschneidung mit der Religionsfreiheit in Zusammenhang bringt! Sie ist mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar, weil die Menschenwürde unverletzlich ist.
Hoffentlich hat das Kölner Urteil Bestand und macht Schule.
CHRISTIAN REETZ, Lahnstein