LESERINNENBRIEFE :
Pseudowissenschaft in Reinform
■ betr.: „Abtreibungsdebatte. Gegen die freie Entscheidung“,sonntaz vom 19. 9. 09
Schön wäre es, wenn sich die sogenannten „Lebensschützer“ lediglich auf Gott als letzte Autorität berufen würden und ihre Vorstellung von Abtreibung als „Sünde“ leicht erkennbar wäre als ein Konstrukt einer extremen Weltanschauung (die von mir als Christen vehement abgelehnt wird). Mittlerweile hat aber ein Taktikwechsel stattgefunden: Die Vertreter des fundamentalistischen Spektrums versuchen, ihre Ansichten durch „wissenschaftliche Erkenntnisse“ zu untermauern, wobei es sich hier um nichts anderes als Pseudowissenschaft in Reinform handelt (vgl. hierzu auch den Standpunkt einer angeblichen Therapierbarkeit von Homosexualität).
Das „Post-Abortion-Syndrome“ (PAS) wurde in den achtziger Jahren von einem amerikanischen Psychologen beschrieben. Demnach sollen Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch von u. a. Frigidität, Unfruchtbarkeit und einem Absterben des Gefühlslebens bedroht sein. Hierzu ist Folgendes: 1. Das „PAS“ gibt es nicht. Eine große Untersuchung der American Psychological Assocation hat ergeben, dass das Risiko psychischer Belastung nach einer Abtreibung nicht größer ist als bei Austragen eines ungewollten Kindes. 2. Das Risiko der psychischen Belastung kann wohl kaum ein Argument gegen Abtreibung sein. Denn in dieser Logik könnten die „Lebensschützer“ gleich die Schwangerschaft verbieten lassen: Haben die denn noch nie von postpartaler Depression gehört? Oder davon, dass Kinder und Heranwachsende ein unglaublicher Risikofaktor für die psychische Gesundheit sind? ULRICH LÜCKE, Ludwigsburg
Eine verdammte Notsituation
■ betr.: „Gegen die freie Entscheidung“
My goodness – das darf doch nicht wahr sein. Da wird das Leben eines Embryos/Fötus über das Leben eines erwachsenen Menschen, eben einer Frau gesetzt. Dumm gelaufen, hast Dir das falsche Geschlecht ausgesucht …
Was soll das? Schon 1970/1971 habe ich mich – wie viele, viele andere – für die Freigabe der Abtreibung eingesetzt. Wenigstens die ersten drei Monate wurden dann schließlich genehmigt und in Gesetzesform gebracht. Wenigstens dabei sollte es bleiben. Ach ja, wichtig vielleicht: Heute habe ich eine ganz tolle Tochter …
Lasst das Gesetz wenigstens so, wie es ist. In der Regel ist den unmittelbar Beteiligten und Zuständigen – den Frauen – zu vertrauen. Wer treibt schon gerne und unbedenklich ab? Das ist eine verdammte Notsituation. Gerade in der gilt: Es lebe die Entscheidungsfreiheit und das Leben der/des Individuums. NORI MÖDIING, Berlin
Wie viel Lüge hält man aus?
■ betr.: „In bin sonst nicht so“ von Josef Winkler,taz zwei vom 18. 9. 09
Sie sind nicht der Einzige, der so langsam Gewaltphantasien entwickelt, und das aus guten Gründen. Wie soll man denn, wenn’s schon für einen selbst immer schwerer möglich ist, die Contenance zu wahren, seinen zu erziehenden Halbstarken erklären, dass Demokratie doch gut ist, nicht alle Bullen Arschlöcher sind und nicht alle Politiker korrupt oder machtgeil und verlogen. Langsam befürchte ich, meine letzte Glaubwürdigkeit zu verlieren, weil ich mir den Scheiß selber nicht mehr glaube, den ich da predige. Wie viel Lüge hält man aus? Was genau ist Gewalt? Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Darüber werde ich mit meinen Jungs reden müssen.
GÜNTHER FAUDE, Pfinztal
Das bedeutet Stillstand!
■ betr.: „Ist Schwarz-Gelb wirklich so schlimm?“, taz vom 19. 9. 09
Die beiden Autoren befassen sich mit dem schwarz-gelben Szenario nur unzureichend. Denn sie klammern in ihrer Argumentation ein sehr wichtiges Thema, den Bildungssektor, aus. Dabei zeigt sich gerade hier mit der Befürwortung von Studiengebühren und dem gegliederten Schulsystem die wohl stärkste Übereinstimmung zwischen den so genannten bürgerlichen Parteien. Die Folge dürfte sein, dass – wie jetzt schon mit Annette Schavan im Kleinen – kein zukünftiger Bundesbildungsminister von CDU, CSU oder FDP darauf drängen dürfte, die Aufstiegsmöglichkeiten nach sozialen Gesichtspunkten zu reformieren. Der postmoderne Neoliberalismus erfährt keine Verlängerung, dafür aber das Modell einer chancenungerechten Herkunftsgesellschaft. Dies bedeutet zwar für Deutschland keine grundlegende Veränderung, wohl aber Stillstand!
RASMUS PH. HELT, Hamburg