LESERINNENBRIEFE :
Kompromisslos opportunistisch
■ betr.: „Glücksfall Steinbrück“, taz vom 13. 10. 12
Ulrich Schulte schreibt: „Steinbrück, der vor der Agenda-Zeit übrigens für die Vermögensteuer eintrat, hat die opportunistische Flexibilität, die jeden Spitzenpolitiker auszeichnet. Er passt seine Überzeugungen an die Gegebenheiten an. […] er spielt auf alles oder nichts. Diese Kompromisslosigkeit passt perfekt in einen Lagerwahlkampf. Man kann von Steinbrück halten, was man will. Aber sicher ist: Er maximiert die minimale Chance, die Rot-Grün 2013 hat.“
Wenn ich recht verstehe, heißt das: ein Spitzenpolitiker zeichnet sich durch Opportunismus aus. Steinbrück hat diese „Flexibilität“. Lernfähigkeit und Opportunismus aus eigennützigem Machtkalkül sind ein und dasselbe. Steinbrück ist aber nicht nur opportunistisch, sondern auch kompromisslos. Das könnte ich dann doch unterschreiben: Steinbrück ist kompromisslos opportunistisch.
Ansonsten fällt mir bei so viel Bedenken beiseite schiebendem Abnicken von machtpolitischem Zynismus – auch bekannt unter dem Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“ – nur noch der Begriff „moralischer Ausverkauf“ ein. Durch den Gebrauch des unbeliebten M-Wortes disqualifiziere ich mich natürlich schon als „naiv“ und „unpolitisch“. Dennoch: Dass im Namen der „Moral“ schon viel zu viel Menschenverachtendes passiert ist, heißt noch lange nicht, dass „Moral“ als Aspekt politischen Handelns überflüssig geworden ist.
MICHAEL FRANK
Die Fähigkeit, sich zu erinnern
■ betr.: „Glücksfall Steinbrück“, taz vom 13. 10. 12
Kritik daran, dass Herr Steinbrück „als rechter Sozialdemokrat so ziemlich jede Schweinerei mitgemacht hat“ oder „der Genosse der Bosse war“, bezeichnet Schulte als „rückwärtsgewandt und also unproduktiv“. Ich nenne das aber eher die Fähigkeit, sich zu erinnern. Unproduktiv wird es nur, wenn ich als Sozialdemokrat wieder so einem Mann Regierungsverantwortung übertrage.
Schulte meint, es sei unter Rot-Grün nur teilweise neoliberale Politik gemacht worden. Das zeugt von einem schlechten Gedächtnis und dem Umstand, dass Schulte wohl nicht zu den Opfern dieser Politik gehört. Ich finde, Matthias Greffrath hat die Amtszeit Schröders treffender beschrieben. Bei ihm hieß es: „Schröder war nicht der erfolgreichste, aber der folgenreichste neoliberaler Politiker.“ Dabei hat allerdings geholfen, dass damals die Hardliner in der Opposition saßen und die rot-grüne Regierung vor sich hergetrieben haben.
Sicher, Geschichte wiederholt sich nicht. Aber rückblickend stellt sich die Frage, ob vier weitere Jahre Kohl nicht weniger Schaden angerichtet hätten als Rot-Grün, da eine „zähmende“ Opposition vorhanden gewesen wäre. Vielleicht ist es an der Zeit, sich zu überlegen, warum es im heutigen Politikbetrieb auch bei der SPD nur „Arschlöcher“ in die erste Reihe schaffen. CHRISTIAN SCHUHMANN, Barum
Aus der Sicht des Wahlvolks
■ betr.: „Glücksfall Steinbrück“, taz vom 13. 10. 12
Aus der Stubenhockersicht eines Parlamentsbüroleiters mag Steinbrück als „Glücksfall für Rot-Grün“ erscheinen. Aus der Sicht des Wahlvolks hätte allenfalls Hannelore Kraft minimale Aussichten auf einen SPD-Grüne-Wahlsieg gehabt.
Mit Kandidaten aus der rechten Schröder-Riege (Genossen der Bosse und Banker) sind die Chancen gleich null.
LOTHAR PICHT, Sandhausen
Liebevolle Verarschung
■ betr.: „Glücksfall Steinbrück“, taz vom 13. 10. 12
Dass Wahllosigkeit ein Glücksfall ist, vermag ein(e) Demokrat(in) nicht zu verstehen. Aber wenn die Umstände dazu geführt werden oder haben, entfällt eine Wahl. Die Begründung dafür ist berauschend: Maximierung einer minimalen Chance! Das ist eine liebevolle Verarschung. Denn wenn das erweitert und bestimmend wird, entscheidet eine gewollte oder ungewollte intellektuelle Konstruktion eine Wahl oder Nichtwahl. PETER FINCKH, Ulm
Mit SPD-Zielen nicht kompatibel
■ betr.: „Künasts Nein zur Ampel irritiert SPD“, taz vom 13. 10. 12
Was ist denn daran undemokratisch, wenn Frau Künast sagt, dass sie nicht mit der FDP koalieren will? So wie die FDP sich jetzt verhält, kann eine Partei, die für soziale Gerechtigkeit ist, doch nicht mit ihr koalieren. Natürlich sollte jede demokratische Partei mit jeder anderen koalieren können, wenn sie denn kompatibel mit den eigenen Zielen ist. Die Partei Die Linke hat die größte Schnittmenge mit der SPD, die wird aber in den meisten Fällen von der SPD von vornherein als Koalitionspartner ausgeschlossen. GÜNTER LÜBCKE, Hamburg
Nicht die richtige Therapie
■ betr.: „Ratingagenturen lernen dazu“, taz vom 12. 10. 12
Viel wichtiger ist wohl, dass auch langsam bei den Experten des IWF die Erkenntnis ankommt, dass das totale Sparprogramm nicht die richtige Therapie ist, um die kriselnden Eurostaaten wieder flottzumachen; dass vielmehr die drastischen Sparmaßnahmen eine Wiederbelebung der Konjunktur verhindern. Es ist nur die Frage, ob auch irgendwann Frau Merkel zu der Erkenntnis gelangt.
HELGA SCHNEIDER-LUDORFF, Oberursel