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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Versuch der Verschleierung

■ betr.: „Sexuelle Gewalt. Es muss aufhören“, taz vom 11. 4. 13

Als Gründungsmitglied des Vereins medica mondiale, der sich entschieden gegen sexualisierte Gewalt in Kriegs- und Krisengebieten einsetzt, muss ich die Initiative des britischen Außenministers Hague eigentlich begrüßen. Scheint doch endlich diese Form der Gewalt auf Regierungsebene wahrgenommen und ernst genommen zu werden. Was doch die mediale Aufmerksamkeit und der Glamourfaktor durch Angelina Jolie alles bewirken kann.

Unser Ansatz damals wie heute aber geht von einer völlig anderen Voraussetzung aus. Nicht der Krieg ist der Auslöser für die sexuelle/sexualisierte Gewalt, sondern die frauenfeindlichen patriarchalen Strukturen der Gesellschaften im Frieden sind der Nährboden dieser im Krieg dann bis ins Extrem angewandten Gewaltform, da wo alle zivile Normen und Gesetze aufgelöst sind. Das heißt, auf den zweiten Blick halte ich die Initiative von Hague für einen Scherz. Ein weiterer Versuch, diese Gewaltform weit von den eigenen „Friedensgesellschaften“ und somit auch von sich selbst wegzuführen. Seine Initiative beschäftigt sich nicht mit den Ursachen, sondern möchte letztlich die „Kollateralschäden“ so klein wie möglich halten – mit der Folge, Kriege humaner gestalten zu können. Bezeichnenderweise ist es eine Aktion des Außenministers, in der Wahrnehmung der wirklichen Ursachen würde es aber nur Sinn machen, wenn es eine gemeinsame Aktion der Außen- und Innenpolitik wäre. Hinzu kommt, dass Hague nichts zu tun haben will mit den Erkenntnissen über die eigenen, von britischen Soldaten in Kenia begangenen sexuellen/sexualisierten Gewalttaten in den achtziger Jahren.

Bei dieser Herangehensweise, der Ächtung der Symptome, ohne die Ursachen anzugehen, bin ich überzeugt, dass der britische Außenminister durchaus Unterstützung bei seinen anderen Außenministerkollegen finden wird. Wir aber sollten diesen Männern ihren erneuten Versuch der Verschleierung um die Ohren hauen und die Gelegenheit der aktuellen weltweiten Beachtung nutzen, die Ursachen sexualisierter Gewalt aufzuzeigen, „damit es endlich aufhört“. Damit wären wir dann allerdings an der Grundlage unserer „Friedensgesellschaft“, unserer Kultur angekommen, der patriarchalen Gewaltstruktur! KLAUS-PETER KLAUNER, Brühl

An den Rand gedrängte Bewohner

■ betr.: „Nur die Stadt ist wirklich“, taz vom 13. 4. 13

Mit leichtem Befremden habe ich den Artikel von Rudolf Balmer gelesen, der gleich zu Anfang konstatiert: „Vom einstigen Tor zum Orient zum Umschlagplatz der neuen Méditerranée – Marseille arbeitet schwer an seinem Image, und das ist gut für seine Bewohner.“ Ist das so? Und für welche Bewohner? Ist Gentrifizierung für den Autor kein Thema? Die an den Rand gedrängten Bewohner der Vorstädte sind ihm kaum einen Satz wert: Indirekt zitiert wird nur der Bürgermeister Marseilles mit dem Satz: „[…] es sei keine Priorität, den Zugang von dort ins „Herz“ der Stadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erleichtern.“ Auch diese Aussage bleibt unhinterfragt, ist es doch so viel schöner, sich über moderne und weniger moderne Kunst und eine schmucke Fußgängerzone zu freuen.

Und wenn er schon dem geneigten Leser den überzeugten Anwalt des alten Marseille und der kleinen Leute, Jean-Claude Izzo, ans Herz legt, der zeit seines Lebens gegen die Auswüchse der sogenannten Modernisierung gekämpft hat, sollte er dessen Bücher vielleicht noch einmal lesen, unter anderem auch das Buch „Aldebaran“, das zwar weniger bekannt als die „Marseille-Trilogie“, aber deshalb nicht schlechter ist, weil es den Finger auf die gut sichtbaren Wunden legt, die der Neoliberalismus und in seinem Gefolge die Gentrifizierung in ganzen Städten schlagen. Zum Schluss deshalb ein Zitat Izzos: „Marseille ist keine Stadt für Touristen. Es gibt dort nichts zu sehen. Seine Schönheit lässt sich nicht fotografieren. Sie teilt sich mit. Hier muss man Partei ergreifen. Sich engagieren. Dafür oder dagegen sein. Leidenschaftlich sein. Erst dann wird sichtbar, was es zu sehen gibt.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. BARBARA SCHMIDT, Darmstadt

Das ist dumm

■ betr.: „Begegnung und Beobachtung“, taz vom 13. 4. 13

In dem ansonsten lesenswerten Beitrag wirft Chaim Noll Jakob Augstein (und anderen KritikerInnen der israelischen Regierung) vor, dass er „Israel seit Jahren attackiert, ohne es zu kennen, ohne es je besucht zu haben“. Mit dem gleichen Argument könnte man der überwiegenden Mehrheit der JournalistInnen, die derzeit die aggressive Politik der nordkoreanischen Regierung kommentieren, das Recht dazu absprechen, denn kaum eine(r) hat das Land jemals besucht. Das ist dumm und schlechter Journalismus, und der taz unwürdig. EVA-MARIA BRUCHHAUS, Köln

Jede/r pathologisiert die anderen

■ betr.: „Wer stört, ist gestört“, taz vom 13. 4. 13

Tanja Martinis Spielplatzbeobachtung ist ja recht interessant und wohl leider auch recht treffend, aber wie kommt sie dazu, dass ADHS keine Diagnose ist (ist es natürlich: es hat im ICD-10 die F90.0) und „nur“ eine Symptombeschreibung? Diagnosen sind Symptombeschreibungen per definitionem (es gibt ein paar, in diesem Fall vernachlässigenswerte Ausnahmen, wie die Posttraumatische Belastungsstörung, bei der mit der Diagnose auch etwas über die Verursachung gesagt wird). Dass dann im gleichen Kommentar eine Meinung als „Borderline“ bezeichnet wird … Jede/r pathologisiert die anderen halt wie er/sie will, da muss nicht mal die Pharmaindustrie ran. JOHANNES HAUCK, Passau