LESERINNENBRIEFE
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Verfassungsfeindliches Grundgesetz

■ betr.: „Zu links? Kein Pass!“, taz vom 24. 2. 10

Aha, das Eintreten für Wirtschaftsdemokratie und Gemeinwirtschaft ist in Niedersachsen (und sicher nicht nur dort) verfassungsfeindlich. Dann muss auch ich mich, wiewohl kein Mitglied der Linkspartei, wie Millionen andere zu den Verfassungsfeinden rechnen.

Wenn Minister Schünemann und seine Befehlsempfänger noch ein wenig weiter dächten und in verdächtiger Lektüre herumschnüffelten, fänden sie wohl auch noch heraus, wie verfassungsfeindlich das Grundgesetz selbst ist, schon in den Absätzen 2 und 3 des Artikels 14, erst recht dann in Artikel 15, der die Vergesellschaftung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln für zulässig erklärt. Reichlich ärgerlich ist zudem Absatz 1 des Artikels 16 (Nichtentziehbarkeit der deutschen Staatsbürgerschaft). Wenn man den doch so aushöhlen könnte wie schon vor etlichen Jahren Absatz 2 (Asylrecht), könnte man unerwünscht links Denkende leichter ausbürgern und käme endlich einer dauerhaften Garantie „bürgerlicher“ Wahlergebnisse näher. Ein Dorn im Verfassungsschutzauge des Herrn Abschiebeministers ist darüber hinaus sicher auch Artikel 1 mit seiner Humanitätsduselei von Menschenwürde und Menschenrechten. Im Ernst: Solange Leute vom Schlage Schünemann unbehindert ihres nach den Maßstäben des Grundgesetzes illegitimen Amtes walten können, ist unsere Verfassung gefährdet. Jannine Menger-Hamilton verdient die Solidarität aller demokratisch Denkenden. JÜRGEN KASISKE, Hamburg

Blankes Entsetzen

■ betr.: „Zu links für einen Pass!“, taz vom 25. 2. 10

Angesichts der Artikel über die Unmöglichkeit, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben, packt mich das blanke Entsetzen. Die Partei Die Linke ist nicht verboten. Der SDAJ ist nicht verboten. Sich gegen rechte Umtriebe zu engagieren, ist sogar höchst geboten. Eine Demokratisierung der Wirtschaft zu fordern, ist selbstverständlich auch verfassungskonform. Wer aber dafür eintritt, kann nicht Deutsche oder Deutscher werden? Verwaltungsbeamte, die diese Urteile gefällt haben, sind völlig falsch an ihrem Platz, und höhere Verwaltungsbeamte, die solche Leute eingestellt haben, auch. Diese Leute ruinieren unsere Demokratie. FRIEDERIKE BERKING

Untragbar

■ betr.: „Zu links? Kein Pass!“, taz vom 24. 2. 10

Der niedersächsische Verfassungsschutz ist also der Meinung, unbescholtenen Menschen die Verfassungstreue nur auf Grund der Mitgliedschaft in einer politischen Gruppe bzw. Partei absprechen zu können, wenn einzelne Mitglieder dieser Gruppe extreme Positionen vertreten? Nach dieser Logik könnte man auch pauschal sämtliche FPD-Mitglieder zu Verfassungsfeinden erklären (so in Bezug auf Grunggesetz Art. 14 Abs. 2). Derartige Verallgemeinerungen sind in einer Demokratie untragbar. Es wäre schön, wenn der „Verfassungsschutz“ seinen eigenen Namen etwas ernster nehmen würde.

NIELS FUSSHOVEN, Düsseldorf

Sonst beißen Sie die Richtigen …

■ betr.: „Zum Wohl der Kirche“, taz vom 25. 2. 10

Heute Morgen hatten wir Ihre Zeitung nur ungern auf dem Tisch liegen. Sonst beißen Sie mit Ihren Einfällen oft punktgenau die Richtigen, aber mit dieser Schlagzeile haben Sie auf sehr unangenehme Art nachgetreten, um einen Gag zu landen. Ihre Anerkennung für Frau Käßmanns Entscheidung war dann nur im Kleingedruckten zu lesen und hat nichts gut gemacht. So geht man nicht mal mit politischen Gegnern um! Oder haben Sie bei Ihrer Redaktionssitzung zu viele Flaschen Wein auf dem Tisch gehabt und das richtige Maß verloren? Ihre Kollegen von der Bild waren da offensichtlich nüchterner! BRIGITTE ALDENHOFF, Mülheim

Kritischer Protestantismus

■ betr: „Protestantische Selbstbestrafung“, Kommentar, taz vom 25. 2. 10

„Protestantische Selbstbestrafung“ ist eine ziemlich bescheuerte Interpretation von Frau Käßmanns Rücktritt. Wer ihr ein solches Motiv unterstellt, hat wenig Ahnung von jenem aufgeklärten, modernen Protestantismus, den gerade Frau Käßmann verkörpert. Ihrer Entscheidung zum Rücktritt lag die wohl realistische Einschätzung zugrunde, dass sie nach diesem Vorfall in ihren Ämtern nicht mehr unbelastet wirken könnte. Angesichts der Häme eines Teils der Presse und der zu vermutenden Kritik in den Kirchengremien in Hannover und in Berlin – dazu hatte sie wahrscheinlich entsprechende Informationen – blieb ihr nur dieser Schritt. Aber keine Sorge! Dem kritischen Protestantismus geht Frau Käßmann nicht verloren. Ihre ungewöhnlichen Fähigkeiten wird sie nun viel freier und ohne Rücksicht auf institutionelle Strukturen oder diplomatische Fesseln zur Geltung bringen können. GERHARD BREIDENSTEIN, Pfarrer i. R., Murrhardt