piwik no script img

Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Die Pest „Kommerzialisierung“

■ betr.: „Laxe Hygiene, tausende Tote“, taz vom 25. 8. 10

Die Pest des 20. und 21. Jahrhunderts ist die Kommerzialisierung sämtlicher Lebensbereiche. So auch in dem Artikel von Herrn Arzt und Herrn Gessler nachzulesen. Das schlagende Argument, um „Hunderttausende Infektionen“ zu vermeiden, sind „mögliche Einsparungen von 1,5 bis 3 Milliarden Euro im Jahr“. Was, wenn es jetzt aber nichts bringt, 20.000 bis 40.000 Menschen pro Jahr vor dem Tod zu bewahren, sondern es die Gesellschaft auch noch etwas kostet? Ist die Sache dann vom Tisch?

Ansonsten, mein Rat für alle, die sich bei Bewusstsein für einen Krankenhausaufenthalt entscheiden: Erst mit dem Hygienebeauftragten telefonieren und nach der Anzahl der MRSA-Fälle u. a. fragen. Wenn es den Beauftragten nicht gibt oder die Auskunft zu dünn ausfällt, das Haus von der Liste streichen. CHRISTIAN SCHUHMANN, Barum

Mehr KollegInnen statt Kontrolle

■ betr.: „Klinikhygiene auf dem Prüfstand“, „Die deutsche Mangelwirtschaft“, taz vom 25. 8. 10

Ein Freund von mir, der aus Frankreich hierher gekommen war, um als Krankenpfleger zu arbeiten, beschrieb die Zustände an deutschen Krankenhäusern als unverantwortlich.

Das niedrige Gehalt, die chronische Unterbesetzung, die gesundheitsschädlichen Arbeitszeiten (z. B. Wechsel von Tag- und Nachtschichten), die Dokumentierungswut, den ständigen Druck nimmt er klaglos hin. Der perfekte Arbeitnehmer im Sinne von CDU und FDP. Sollte die CDU eines Tages das Thema „Pro Einwanderung“ für sich entdecken, wäre Misstrauen angebracht. Über den Plan, „Hygienebeauftragte“ einzuführen, hätte mein Freund heute herzlich gelacht. Jede Pflegekraft weiß, was zu tun ist, um Mikroben keine Chance zu geben, nur fehlt oft die Zeit, es umzusetzen. Gehandelt wird zwangsläufig nach dem Grundsatz „Wird schon schiefgehen“, das schlechte Gewissen ist ständiger Begleiter. Die Pflegekräfte brauchen niemanden, der sie daran erinnert, dass man Müllbeutel mit altem Verbandszeug nicht aufs Patientenbett stellt, sie brauchen auch nicht noch mehr Formulare, sondern mehr Zeit. Also statt mehr Kontrolle mehr Kollegen. Mein Freund arbeitet mittlerweile wieder in Frankreich als Krankenpfleger: bei 35-Stunden-Woche ohne Nachtschichten, mit mehr Urlaub, weit höherem Gehalt und mit vielen netten Kolleginnen. THOMAS DOMRÖSE, Hamburg

Nicht auf dem richtigen Weg

■ betr.: „Laxe Hygiene, tausende Tote“, „Bitterer Beigeschmack“, taz vom 25. 8. 10

Krankenhäuser ohne Hygieneverordnungen und ohne Hygienebeauftragte? Wenn man überlegt, was für ein Bohei um die Schweinegrippe veranstaltet und wie viel Geld in die Impfaktionen zugunsten der Pharmaindustrie investiert wurde und dagegen aufgrund von Sparmaßnahmen für einfachste Hygienemaßnahmen offenbar das Geld fehlt, dann ist unser Gesundheitssystem sicherlich nicht auf dem richtigen Weg. HELGA SCHNEIDER-LUDORFF, Oberursel

Bitte keine Billiglösung

■ betr.: „Alles freiwillig“, taz vom 24. 8. 10

Ab 2011 strömen auch in den bevölkerungsreichen Bundesländern die Doppeljahrgänge, geschuldet dem verkürzten Abitur, auf den Ausbildungsmarkt. Dass die vorhandenen Studien- und Ausbildungsplätze diesem Ansturm nicht gewachsen sein werden, kann man sich denken. Kurz bevor die große Abiturientenwelle den Markt erreicht, werden noch schnell ein paar Wellenbrecher eingebaut. „Schnupperbundeswehr“ und zusätzliche Freiwilligendienste dienen in erster Linie dazu, die vielen Schulabgänger zwischen zu parken. Das Problem der Doppeljahrgänge trifft ja nicht nur die Abiturienten von 2012, sondern auch alle anderen Schulabgänger dieses Jahrgangs – und noch mindestens zwei weiterer Folgejahrgänge. Weder die Hochschulen noch die Industrie allein werden in der Lage sein, das Problem der übergroßen Nachfrage zu lösen.

Schiebt man die jungen Leute aber in die Schnupper- und Freiwilligendienste ab, spart man einen Haufen Geld für Sozialleistungen und verhindert gleichzeitig, dass sie die Arbeitslosenstatistik versauen. Und in ein paar Jahren werden schöne Zahlen die Beliebtheit dieser Dienste belegen. Dass sich hinter diesen Zahlen junge Menschen verbergen, die zwangsweise in (optional verlängerbaren) Freiwilligendiensten stecken, damit ihre Lebensläufe sauber bleiben und die immer noch die Hoffnung auf eine adäquate Ausbildung oder Studium hegen, wird dann wohl verschwiegen werden.

Ich bin eine absolute Befürworterin von Freiwilligen- und Sozialdiensten – aber bitte nicht als Billiglösung für eine ganze Generation, die vernünftige Ausbildungs- und Studienbedingungen braucht und keine Zwischenlösungen bildungspolitisch verursachter Probleme. MELANIE LAHMER, Siegen