LESERINNENBRIEFE :
Eine andere Art Gymnasium
■ betr.: „Gymnasium? Mit uns nicht!“, sonntaz vom 17./18. 5. 2014
Vielleicht ist es besser für Kinder und Jugendliche, wenn sie bis zum Abschluss ohne Differenzierung zusammen lernen. Die vorgestellten Modelle klingen gut. Aber ich finde es nicht richtig, das Gymnasium pauschal zu kritisieren. Wenn Richard David Precht davon spricht, die Auswendiglernerei habe nichts mit Bildung zu tun, frage ich mich, ob ich eine andere Art von Gymnasium besuche. Ich bin im zweiten G8-Jahrgang in NRW, ich mache gerade Abitur und ich lebe noch. Ich habe neben der Schule immer Zeit für meine eigene Freizeitgestaltung gehabt und trotzdem gute Noten bekommen. Ich habe AGs besucht, war kurz im Sportverein und spiele seit der achten Klasse neben der Schule Theater. Ich habe neben Hausaufgaben und Lernen Zeit für meine Freunde und meine Familie. Vielleicht hätte ich mit G9 noch mehr Zeit. Aber ich kann nicht behaupten, dass ich von Stress geplagt am Rande des Burn-outs stehe.
Die Kritik am Auswendiglernen ist stark übertrieben. Ohne Vokabeln kommt man nicht durch eine Fremdsprache. Und ohne Jahreszahlen verliert ein Urteil in Geschichte seine Glaubwürdigkeit. Aber das war es dann auch. Man verschafft sich einen Überblick, klärt die Fakten und Zusammenhänge und hat dann die Möglichkeit, ein eigenes Urteil zu fällen und darüber im Unterricht zu sprechen.
Ja, gute Noten sind am Gymnasium wichtig. Das bedeutet aber nicht, dass wir im Einzelkämpfertum über Leichen steigen. Gruppenarbeit und Projekte sind tatsächlich auch am Gymnasium angekommen. Und dass man sich gegenseitig hilft, ist doch selbstverständlich, oder? Aber es klingt häufig so, als seien am Gymnasium nur elitäre Schnösel, die in Massenabfertigung ihr Abitur machen, um dann in die nächste Fabrik der Universitäten zu wechseln. Schule ist aber immer mehr als das. Das Gymnasium ist mehr als das. Es ist ein Ort, an dem ich acht Jahre gelernt und gelebt habe. An dem soziale Kontakte und das Miteinander genauso wichtig sind wie der Unterricht. Ob dieser jetzt inspiriert oder nur langweilig ist, liegt immer an den eigenen Interessen und an den Fähigkeiten des Lehrers.
Natürlich gibt es Dinge, die sich ändern müssen. Bei uns wurde mit dem Nachmittagsunterricht keine Mensa eingeführt. Weil die Stadt kein Geld hat. Kann da das Gymnasium was für? Kommune, Land oder Bund müssen dafür sorgen, dass die Schüler ein angenehmes Lernklima vorfinden. Mit mehr Lehrern und kleineren Klassen, Mittagessen, Sportplatz und ausreichenden Sanitäranlagen. Dann klappt es auch mit dem Lernen. FATIMA TALALINI, Dortmund
Regelmäßig Freunde töten
■ betr.: „Der Rinderflüsterer“, taz vom 15. 5. 14
Das ist ja ein merkwürdiger Artikel. Eine ganze Seite über die Gefühlswelt eines Menschen, der Tiere tötet, die er als Freunde bezeichnet, und seine Probleme damit darstellt (hätte ich auch, wenn ich regelmäßig meine Freunde töten würde). Ein kritisches Hinterfragen oder Einordnen? Fehlanzeige. Stattdessen die putzigen Namen, die gemütlich liegenden Rinder, die sanft zu Tode gestreichelt werden. Im Ergebnis bleibt es dabei, das Tier wird getötet. Die Krönung ist aber der Leserbrief des „Rinderflüsterers“ Herrn Maier am Folgetag, in dem er schreibt, ein Tier opfere sich für die anderen. Sich opfern? Das wäre eine bewusste altruistische Handlung des Tieres, real wurde die Tötung vom Menschen Maier bestimmt und durchgeführt. Wenn ihn das traurig stimmt, soll er damit aufhören. Nur Freiheit ist artgerecht. In diesem Sinne. HENDRIK RIEGER, Berlin
Bürokratischer Kontrollwahn
■ betr.: „ICD-10-GM-2014 C34.9. Für eine neue Verwaltungsethik im Angesicht des Todes“, sonntaz vom 17./18. 5. 14
Ich bin als Medizintechniker im Außendienst für zu beatmende Patienten und Sauerstofftherapie unterwegs. Wer einen Sauerstoffkonzentrator verschrieben bekommt, der 24 Stunden arbeitet oder auch mal weniger, wird von seiner Kasse generell nicht unterrichtet, dass sie sich an den Stromkosten (ca. 2 kWh in 5 Stunden) beteiligt. Dazwischen liegt eine bürokratische Hürde, die mit dem Arztbrief nicht überwunden wird. Wenn es um einen Patienten in Dauerbehandlung geht, können Mitarbeiter der Kassen es kaum glauben, dass für die Fortführung der Therapie Filter, Schläuche, Masken, Absaugkatheter, Nasenbrillen etc. notwendig sind, um den Rest Gesundheit zu erhalten. Es herrscht ein Kontrollwahn, der jedwede Menschlichkeit vermissen lässt. Und wenn man mal so ein junges Huhn vom medizinischen Dienst erlebt hat, das einem ALS-Patient in fortgeschrittenem Stadium Fragen stellt, die der normale Menschenverstand von selbst beantwortet, fragt man sich, welche Geister hier arbeiten und zu wessen Wohl. HANS DIETER SCHMIDT, Glinde
Todsünde journalistischer Arbeit
■ betr.: „Türkische Regierung tritt zurück“, taz vom 16. 5. 14
Diese Aufmacherschlagzeile schien einen Scoop zu signalisieren, da alle anderen Printmedien nichts dergleichen meldeten. Darum meine Vermutung: Vielleicht gab es eine Eilmeldung kurz vor Andruck und die taz hatte die Möglichkeit, noch darauf zu reagieren. Das brennende Interesse schlug beim Lesen des Aufmachers allerdings in Schock um: Er enthielt nichts anderes, als alle anderen Konkurrenzblätter auch enthielten (oder schon enthalten hatten). Liebe Kollegen, dies ist eine der Todsünden seriöser journalistischer Arbeit! Und das bleibt es auch dann, wenn Titelgeber und/oder SchlussredakteurIn betütelt, fieberkrank oder sonst gehandicapt gewesen sein sollten. Diese Schlagzeile hätte ohne realen Sachverhalt dahinter nicht gedruckt werden dürfen. MARLIS VON RÖSSING, Mannheim