LESERINNENBRIEFE :
Abitur gleich Klugheit?
■ betr.: „Die Deutschen werden klüger“, taz vom 14. 6. 14
Die Deutschen werden klüger, behauptet die taz. Und woran merkt man das? An der Zahl der Akademiker? Dass Abitur und Klugheit korrelieren, ist mir neu. Die Anzahl der Autos, der Flugreisen, ganz allgemein der Lebensstil so vieler Deutscher – all das spricht gegen diese kühne Behauptung.
ROSEMARIE KROCKENBERGER, Nürtlingen
Trübe Leuchten
■ betr.: „Leuchten der Menschheit: Michail Chodorkowski“, taz vom 14./15. 6. 14
6,2 Milliarden in die Schweiz „gerettet“! Da sind Alice Schwarzer und Klaus Zumwinkel und Uli Hoeneß wirklich nur ganz kleine Leuchter dagegen; vor allem der Letztere, der seine lumpigen 28 Schweizer Millionen nicht mal „gerettet“, sondern vermutlich zum größten Teil verzockt hat. Eine von Chodorkowskis 6 Milliarden enthält 1.000 Millionen! Und ein Uli Hoeneß bringt es da trotz einer geschätzten Milliarde Würstchen pro Jahr aus seiner Nürnberger Wurstfabrik halt doch nicht zum „Humanisten“, sondern allenfalls zum „guten Mensch von der Säbener Straße“, wie Achim Bogdahn schrieb (taz vom 7. 4. 2011). Auf weitere „Leuchten der Menschheit von Andreas Fanizadeh – zum Beispiel Ferdinand Marcos, Kaiser Bokassa, Baby Doc Duvalier – samt ihren geretteten Millionen und Milliarden freut sich schon HERMANN MUNTSCHICK, Göttingen
In der Höhle des Löwen
■ betr.: „Ein Pakt mit dem Teufel“, taz vom 14. 6. 14
Der leicht bissige Kommentar vom vergangenen Sonntag und der negativ getönte Leserbrief vom 17. 6. dazu, das tat mir doch leid. Man könnte doch auch schreiben: „Da geht jemand in die Höhle des Löwen.“ Natürlich ist das gewagt, was Frau Käßmann da tut. Aber zunächst macht sie wohl einen Unterschied zwischen Bild und BamS. Dann wird sie doch das Vorhaben mit der Kirche abgesprochen haben. Und schließlich kann es doch gut sein, wenn auch von evangelischer Seite kommentiert wird, nicht nur von den Katholiken. Vielleicht entsteht dann auch so etwas wie ein Dialog.
Die Kommentare und Anschreiben werden sicher unterschiedliche Qualität haben. Aber ich finde in jedem Falle gut, wenn über eine sinnvolle Lebensführung nachgedacht wird und nicht nur über Sensationen. Ich glaube, viele Menschen haben Angst in unserer Zeit nicht nur um Gesundheit, Einkommen und Leben, sondern auch um ihre Kinder und um die Erde. Und ich glaube, die Not der Menschen in ihren Beziehungen und in ihrem Selbstverständnis ist auch groß. Da ist es doch besser, eine Frau Käßmann geht darauf ein, als irgendwelche Rechte oder falsche Erlöser. MARGARETE BURKHARDT
Stopfganspädagogik
■ betr.: „Entschleunigtes Turboabitur“, taz vom 16. 6. 14
Die 265 Jahreswochenstunden bis zum Abitur wurden einmal eingeführt, weil man Sorge hatte, die Ostländer mit ihrer zwölfjährigen Abiturtradition würden in den Anforderungen hinter den alten Bundesländern zurückbleiben. Auf diese Stunden können sowohl das Fach Religion wie auch weitere fünf Stunden Wahlunterricht angerechnet werden, was schon zeigt, dass die Anforderungen auch jetzt nicht gleich sind.
Problematisch ist das Gesamtvolumen an Stunden bis zum Abitur nicht in der Oberstufe, sondern in der Mittelstufe, weil hier die eigentliche Verdichtung stattfindet und zu 33 bis 35 Unterrichtsstunden pro Woche führt, was sieben bis acht Unterrichtsstunden täglich mit Schulschluss um 15 Uhr bedeutet. Das ist Ganztagsunterricht, an nahezu allen Gymnasien ohne Ganztagseinrichtungen, zu dem noch Hausaufgaben kommen. 12- bis 15-jährige Kinder arbeiten weit über 40 Stunden pro Woche, für die IG Metall wäre das ein Anlass zum Generalstreik. Deshalb ist der Vorschlag, das Gesamtvolumen um fünf Jahreswochenstunden zu kürzen, vernünftig, die eingesparte Zeit muss jedoch zwingend der Mittelstufe zugute kommen.
Wenn der Vorsitzende des Philologenverbandes Meidinger darin eine eingebaute Niveausenkung sieht, wird nur deutlich, dass er einer alten Stopfganspädagogik anhängt. Entwicklungen wie „exemplarisches Lernen“, also die Fähigkeit, das am Einzelbeispiel Gelernte auf Vergleichbares zu übertragen, und „kompetenzbetontes Lernen“, was das eigenständige Übertragen gelernter Inhalte mit Hilfe gefestigter Methodenkenntnis zum Ziel hat, werden dabei ignoriert.
Niveau wird von den konservativen Philologen mit Stoffwissen gleichgesetzt, dann stimmt die Gleichung „mehr Stoff braucht mehr Zeit“, und der Wechsel vom Brockhaus zu Wikipedia stellt die einzige Reform dar, die aus dieser Ecke begrüßt wird.
Wirklich problematisch sind andere Entwicklungen, die auch in dem Aufruf zur Erhaltung der Verkürzung nicht angesprochen werden: Der hohe Unterrichtsausfall, der in allen Bundesländern bei etwa 10 Prozent liegt, der allerdings kaschiert und auf die Hälfte heruntergerechnet wird, hinzu kommen weitere 10 Prozent durch Prüfungstage, Exkursionen, Hitzefrei, Schulrituale und anderes. Eine erfahrene Lehrkraft plant ihren Unterricht von vornherein nur mit 80 Prozent der offiziellen Stundenzahl. Hier würde nur ein an der Schule vorhandenes und sofort einsetzbares Vertretungsvolumen helfen, das zwischen 5 und 10 Prozent liegt. Eine weitere ernsthafte Bedrohung des Niveaus sehe ich durch den Einsatz fachfremder oder pädagogisch unausgebildeter Lehrkräfte, die unter der Bezeichnung Quereinsteiger firmieren. Das ist eine eingebaute Standardabsenkung. WOLFGANG HARNISCHFEGER, Berlin