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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE Betr.: Grün-rote Regierungsbildung in Baden-Württemberg

Sehr grün

■ betr.: „Viel mehr als ein Bahnhof“, Online-taz vom 25. 4. 11

Richtig. Es geht doch um längerfristig wirksame Änderungen von Politikstil, Umweltverantwortung und Bürgerbeteiligung. Klar, S 21 war mit ein massiver Auslöser für die CDU-Abwahl, aber die neue Landesregierung scheint auch zu sehen, dass die Verengung auf dieses Thema und einige andere sehr „grüne“ Themen allein keine nachhaltigen Wirkungen haben wird, dann würden sie in der nächsten Wahl wieder weggeschickt, wenn nicht auch eine überzeugende Änderung in anderen grundsätzlichen Fragen zu sehen sein wird. MATTHI, taz.de

Nach der Wahl

■ betr.: „Viel mehr als ein Bahnhof“, Online-taz vom 25. 4. 11

Wenn die Grünen vor der Wahl von der Hürde bei der Volksabstimmung wussten und deshalb davon ausgehen mussten, dass sie S 21 nach der Wahl sowieso nicht stoppen können, dies aber trotzdem propagierten und deshalb gewählt wurden, weil sie vor der Wahl von der Hürde zur Volksabstimmung nichts sagten …, was unterscheidet die Grünen dann von Münteferings Ausspruch, dass die Wähler ja nicht erwarten könnten, dass die Parteien nach einer Wahl hielten, was sie vorher versprachen? Wie ließe sich das auch nennen? MORITZLE, taz.de

S 21 war entscheidende Frage

■ betr.: „Viel mehr als ein Bahnhof“, taz vom 26. 4. 11

Wegen der Haupt- und Staatsaktion Atomkraft ist die Volksabstimmung zu „Stuttgart 21“ unter geradezu antidemokratischen Bedingungen – mit dem hier geforderten Zustimmungsquorum holte die CSU ihre Zweidrittelmehrheit im vorletzten bayerischen Landtag – nicht so schlimm? Ich glaube doch. Es wurde in Württemberg nun einmal nicht die Weltregierung gewählt, sondern ein Landtag, und im Wahlkampf war „S 21“ eine der entscheidenden Fragen. Wie sich die Grünen auf einen Volksentscheid unter diesen Bedingungen einlassen konnten, ist unbegreiflich, das wird dazu beitragen, dass sie das soeben gewonnene Vertrauen auch gleich wieder verspielen.

KILIAN BECKER, Wegscheid

„Pöbel wieder niedergebügelt“

■ betr.: „Viel mehr als ein Bahnhof“, taz vom 26. 4. 11

Ich denke, mit der Einschätzung der Lage zu S 21 liegt Bettina Gaus völlig falsch.

Die Bürgerbewegung gegen den Bahnhof ist nicht angetreten, ganz allgemein die Bürgerbeteiligung bei Großprojekten zu verbessern, sondern ganz konkret ein Projekt zu verhindern, das, wie Gaus richtig schreibt, „teuer, unsinnig, anachronistisch und auf undemokratische Weise geplant“ ist. Damit eine Volksabstimmung hier zu einer Akzeptanz führt, muss der Modus derselben sowie der Kreis der Befragten auch in einem den Menschen nachvollziehbaren Verhältnis zu ihrer Betroffenheit durch das Projekt stehen.

Stimmten nur die Stuttgarter darüber ab (die diejenigen sind, die wirklich darunter leiden müssten bzw. die wirklich etwas von den freiwerdenden Flächen haben würden) und es gelänge nicht, mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten als Stimmen gegen das Projekt zu bekommen, dann könnte man auf eine Akzeptanz der Unterlegenen zählen. So wie es aber ist, wie die „odds stacked against us“ sind und wie die Provinz einfach durch Daheimbleiben dafür sorgen kann, dass Stuttgart kaputtgemacht wird, so wird es keine Akzeptanz und keinen Frieden in der Stadt geben. Man stelle sich mal vor, landesweit 60 Prozent dagegen bei – sagen wir mal – 40 Prozent Wahlbeteiligung. Quorum verfehlt, Bahnhof akzeptiert? Und das wahrscheinlich bei einer Beteiligung und einem Ergebnis in Stuttgart, das bei 70 bis 80 Prozent Ablehnung bei einer ebensolchen Wahlbeteiligung liegen würde, also das Quorum lässig überschreitet. Was denken Sie was passiert, wenn die Bagger auffahren?

Nein, wer denkt, dass nach der Volksabstimmung alles gut wird, der verkennt die Tatsachen und die Schwaben außerdem. Was wir wollen, ist Stuttgart 21 verhindern. Wenn das Geld reicht, bauen wir auch K 21 oder K 22. Aber wer hier im konkreten Fall sagt, „dann ziehen wir das halt durch, aber später, bei anderen Projekten, da werden wir die Bürger besser und früher einbeziehen“, der sagt in Wirklichkeit: „Na, geht doch, wir haben den Pöbel ja doch wieder niedergebügelt. Und beim nächsten Mal machen wir’s genauso.“

UWE RÜCKER, Vaihingen

Verträge kann man kündigen

■ betr.: „Das grüne Prinzip“, taz vom 26. 4. 11

Wir, die Gegner von S 21, haben die „Schule“ gründlich durchlaufen. Sicher ist auch, dass der Widerstand seit 16 Jahren besteht, man hat mit Architekten unter anderem am „Kopfbahnhofkonzept“ gearbeitet. Außerdem sind eine Menge ehemalige Befürworter von S 21 inzwischen ausgestiegen. Der Architekt Ingenhofen ist in einer Stiftung aktiv, deren Dachgesellschaft mit ECE dasjenige Unternehmen ist, das auf dem S-21-Gelände das größte Einkaufszentrum der Region bauen will! „Politiker haben sich dafür stark gemacht, die Bürger aber getäuscht.“ Eigentlich sollten für diese Laufzeit viele unserer Politiker dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Hinzu kommt: Bei S 21 gäbe es im Kellerbahnhof 15 Promille Gefälle, viermal mehr als gestattet! Bahnfahrer sehen da mehr Schaden als Nutzen! Übrigens, Verträge kann man kündigen, wir haben hierfür bereits juristische Berater. MONIKA HENRIETTE IMHOFF, Stuttgart

Wer „nur Bahnhof“ versteht …

■ betr.: „Viel mehr als ein Bahnhof“, taz vom 26. 4. 11

Der Kommentar von Bettina Gaus führt in die richtige Richtung. Denn wer das grün-rote Bündnis als Meilenstein überbewertet oder auf die Verhinderung einzelner Großbauten reduziert, der versteht nur Bahnhof. Schließlich liegt die eigentliche Chance in der konkreten Sachpolitik. Und durch intelligente Weichenstellungen, wie etwa der Abschaffung von Bildungsgebühren, der stärkeren Verteilung der Mobilität auf verschiedene Verkehrsträger oder der Umsetzung der Energiewende – nicht nur für einen kurzen Moment, sondern auf Dauer –, gelingt es, die Deutungshoheit des Fortschrittsbegriffs für sich in der Gesellschaft erfolgreich zu reklamieren. Weswegen der grüne Höhenflug im Ländle, anders als es viele Medien bereits jetzt prophezeien, nicht als Eintagsfliege enden muss, wenn man sich an das Grundprinzip hält, praktische positive Veränderungen herbeiführen zu wollen und jene nach außen hin klar zu kommunizieren! RASMUS PH. HELT, Hamburg

Typisch SPD

■ betr.: „Acht gegen sieben“ u. a., taz vom 28. 4. 11

Ganz so, als hätte sie die meisten Stimmen, reißt sich die SPD mehr Ministerposten und auch noch die Schlüsselressorts unter den Nagel und erreicht, die Volksabstimmung über Stuttgart 21 bis Oktober hinauszuzögern, wenn noch mehr vollendete Tatsachen geschaffen sein werden. Ganz so, als wäre dieses Bürgervotum nicht sofort zu ermöglichen.

Typisch SPD. Das Wichtigste sind die Posten, und ohne Zukunftsperspektive geht es um die augenblickliche Macht. Ausgesprochen oder auch nicht kann man ja wieder einmal das Wahlergebnis als Wählerauftrag zur großen Koalition werten. Also erlaubt man sich mit den netten Grünen mal wieder die Erpressung bis zum Gehtnichtmehr und glaubt, damit alles erreicht zu haben. Mag sein, aber die SPD wird damit noch mehr Wähler und Renommee verlieren.

Allen, auch der SPD, ist zu wünschen, dass die grüne Basis dieser Sorte Koalitionsvertrag nicht zustimmt. Zumal auch die Grünen ein Druckmittel für Nachverhandlungen haben: In einer großen Koalition würden viel weniger Posten für ehemals Rote abfallen, und das zieht mit Garantie. ALFRED MAYER, München

Kretschmann weckt Resthoffnung

■ betr.: „Grün-Rot tritt an“, taz vom 26. 4. 11

Winfried Kretschmann wird Baden-Württembergs Ministerpräsident und zeigt sofort, wie grün und sozial unsere Wirklichkeit mit seiner Partei an der Spitze werden soll: Ausbau der Ganztagsschulen, Krippenplätze für alle, Fahrrad statt Auto, Ökolandwirtschaft und Windkraftenergie. Und wie soll das Ganze finanziert werden? Die Grunderwerbssteuer wird um 1,5 Prozentpunkte angehoben. Klingt genial, oder? Für solche Vorhaben gebe auch ich gerne mehr Geld für die Gemeinschaft her. Da gibt es nur ein paar Probleme: Durch mehr Ganztagsschulen und Krippenplätze wird vielleicht das ein oder andere Kind mehr geboren, aber die Beschäftigung mit dem eigenen Nachwuchs übernehmen Dritte, dafür bleibt dann aber natürlich mehr Zeit für die Eltern, um zu arbeiten …

Nächster grüner Schritt: Fahrrad statt Auto. Prima! Die Idee ist richtig: Die Überproduktion von Maschinen muss gestoppt werden. Durchschnittlich steht ein Auto 23 Stunden am Tag. Wie Unkraut wuchern die Gefährte unsere Städte zu. Der richtige Schritt: Gemeinsam statt einsam – Auto teilen, wie es in einigen „Car-Sharing-Konzepten“ bereits vorgemacht wird. Auf das Fahrrad schwingen ist die gesündere Variante. Aber wer wird das schon machen in Stuttgart, wo es ständig auf und ab geht?

Mit Windkraft und Ökolandwirtschaft wird es noch grüner. Subventionen hier und da. Die Ideen sind teils fantastisch und ich möchte nicht allesamt ironisieren. Ich selbst habe die Hoffnung aufgegeben, dass der Mensch sein Wissen geeignet einsetzt und auch an seine nachfolgenden Generationen denkt, ökologisch und sozial handelt. Dafür ist die Verdummung der Masse zu fortgeschritten. Herr Kretschmann weckt aber in mir ein Fünkchen Resthoffnung. Ich bin gespannt. MICHAEL SENDER, Mainz

Sicher Zug fahren

■ betr.: „So öko wird der Südwesten“, Online-taz vom 25. 4. 11

„Laufen, Radfahren, Zugfahren – das gehört für Kretschmann zur Mobilität von morgen.“

Dass sich die SPD und vor allem die Grünen das Thema Sicherheit der Bürger nicht auf die Fahnen geschrieben haben, das dürfte hinreichend bekannt sein. Man schaue in die von diesen Parteien regierten Länder. Herr Kretschmann soll die Infrastruktur schaffen, dass man sicher Zug fahren (inklusive Bahnhofsaufenthalte) und sicher zu Fuß unterwegs sein kann – auch bei Nacht und in jedem Alter, jeden Geschlechts und eben allerorts. Dann fahren die Bürger gerne U-Bahn, Straßenbahn und tun was für die Umwelt. Wer aber die Sicherheit zur Farce erklärt, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Eltern ihre Kinder lieber mit dem Auto abholen oder der Bürger in seinem halbwegs sicheren Käfig lieber im Stau steht, sich diesen zumutet, als Opfer einer Straftat zu werden. MRE, taz.de

Ohne eigene Stärke

■ betr.: „So öko wird der Südwesten“, Online-taz vom 25. 4. 11

Erst wenn ihr den letzten Produktionsstandort geschlossen habt, werdet ihr merken, dass man ohne eigene Stärke keine hochtrabenden Pläne mehr in die Welt tragen kann. Na ja, wahrscheinlich wird man es schon früher merken … Jedenfalls freu ich mich schon, wenn bei Daimler die neuen Mobilitätskonzepte vom Band rollen …

Witzig, gerade mal 16 Prozent der Wahlberechtigten hinter sich, und schon muss (basisdemokratisch) das ganze Land umgekrempelt werden. Und wo fangen wir beim Verschlimmbessern an? Da, wo das Land seine Stärken hat, natürlich. Aber nur so klappt’s, denn mit teurem Ökostrom könnte man eh keine große Produktion mehr laufen lassen. FARBE, taz.de