LESERINNENBRIEFE :
Wer sind die Defizit-Sünder?
■ betr.: „Defizitstaaten sollen büßen“, taz vom 18. 8. 11
Hier drängt sich natürlich die Frage auf: Wer sind denn eigentlich die Defizitsünder? Nur die Staaten, die das Defizit in ihrer Bilanz (eventuell sogar gezwungenermaßen) zulassen? Oder auch die Staaten, die durch ihre hohen Export-Überschüsse den anderen Staaten erst ermöglichen, ein solches Defizit anzuhäufen?
Eine stärkere Binnenkonjunktur, hervorgerufen durch mehr Kaufkraft über die Löhne könnte auch dazu führen, den Exportüberschuss zu verringern und dadurch ein Defizit in anderen Ländern zu verkleinern. Allerdings macht es keinen Sinn, nur denen, die schon jetzt ein hohes Einkommen haben, noch mehr zu geben.
Mit zum Beispiel einem flächendeckenden Mindestlohn, mit Tariferhöhungen über der Inflationsrate, verbunden mit einem Sockelbetrag für die unteren Lohngruppen, wäre ein Kaufkraftzuwachs zu erreichen, der direkt in den Konsum fließen könnte. Leider wollen unsere Politiker, teilweise gesteuert durch vorhandene Lobbyverbindungen, davon nicht viel wissen.
WOLFGANG SCHNEIDER, Schwalbach
Eine Form von Gewalt
■ betr.: „Die Politik ist eine Antwort schuldig“, Interview mit Hans-Gerd Jaschke, taz vom 18. 8. 11
Ich denke, Herr Jaschke liegt richtig, wenn er eine Verbindung zwischen den Autobrandstiftern und der Gentrifizierung herstellt. Natürlich muss die Politik handeln, wenn serienmäßig Autos abgebrannt werden.
Aber: Die Politik hat ihre Bürger auch dann zu schützen, wenn Investoren die Mietpreise hochtreiben und die Menschen aus ihren Kiezen vertreiben; dies ist nichts anderes als eine Form von Gewalt gegen die in Berlin lebenden Menschen. Berliner Politiker haben nun einmal die Aufgabe, nicht so sehr für wohlhabende Investoren von sonst woher da zu sein, sondern vielmehr die Probleme der Bürger ihrer Stadt ernst zu nehmen und in deren Sinne zu handeln. Mietpreisbindung, Milieuschutz, das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum und sozialer Wohnungsbau sind bewährte Mittel, um gegen Kriminalität vorzubeugen und um die Lebensqualität in der Stadt zu heben, also um Dinge zu erreichen, für die Politiker schließlich auch gewählt werden.
BERND-MICHAEL KABIOLL, Berlin
Literarisch völlig uninteressant
■ betr.: „Ein erhabener Neinsager“, Ambros Waibel zu „Erinnerungen an Robert Musil“, Gesellschaft + Kultur vom 19. 8. 11
Bitte hört auf, den Musil zu verklären. Trotz einer treffenden Bemerkung zu Nazi-Deutschland und einem zugegebenermaßen verheißungsvollen Frühwerk („Drei Frauen“, „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“) ist der Rest doch literarisch völlig uninteressanter, von einem zwanghaften, überspannten mathematisch-philosophischen Denken und einer verletzten Psyche gespeister Größenwahn: „Der Mann ohne Eigenschaften“. Und bitte vergleicht diesen todlangweiligen Roman nicht mit der Bibel, die ist immerhin in hohem Maße literarisch sehr anspruchsvoll und ausdrucksstark.
Vergesst nicht, dass jede besondere künstlerische Leistung eine gewisse geistig-emotionale Angegriffenheit voraussetzt, die, wenn sie denn zu einer Krankheit ausartet und den Menschen in ihren Besitz nimmt, das Werk zerstört. Das war bei Musil, denke ich, der Fall. Bei vielen anderen (Mann, Dostojewski, Céline …) nicht.
DETLEF SCHEFFEN, Berlin