LESERINNENBRIEFE :
Diktatur der Konzerne
■ betr.: „Zehntausende bei Agrardemo“, taz vom 19. 1. 15
Es wundert mich sehr, dass der Bericht über die Demonstration am letzten Sonnabend so klein ausgefallen ist. Es war eine gewaltige Demo, sie war kämpferisch und auch fröhlich, was der Ernsthaftigkeit der Demo keinen Abbruch tat, deren Überschrift die Freihandelsabkommen waren, die auch starke Auswirkungen auf die Agrarwirtschaft haben, wo die Rechte der Agrarkonzerne noch stärker festgeschrieben werden. Die Ausführungen der Redner waren überzeugend. Es wurde die Gefahr für unsere Demokratie aufgezeigt, durch den Machtzuwachs der Konzerne. Wenn die Freihandelsabkommen so kommen wie geplant, wird das Primat der Politik unterhöhlt. Wie können die Parlamente das zulassen? Es mag sich dramatisch anhören, aber ich bin überzeugt, dass wir uns damit einer Diktatur der Konzerne nähern. Selbst wenn das, was in den Geheimverhandlungen alles geplant war, nicht Wirklichkeit wird, ist es doch schlimm genug und gefährlich, dass es überhaupt Politiker gibt, die so etwas wollen, beziehungsweise planen. GÜNTER LÜBCKE, Hamburg
Gedöns wie Sand am Meer
■ betr.: „Was zählt denn nun wirklich?“, taz vom 17. 1. 15
Im Jahr 68 war ich Familienfrau und zu alt, um noch eine waschechte 68erin zu werden. Aber es hat alles sein Gutes. Bald wurde mir klar, dass ich nicht nur als mittelalte Hausarbeiterin im Regen stand. Auch der neue Schub der Aufklärung hatte die Frauen bloß als Beiwerk mitgedacht. Freiheit, Gleichheit, Autonomie und Unabhängigkeit blieben auf eine Spezies zugeschnitten, die sich vom Gedöns des Alltags unbehelligt fühlte. Mit Gedense im ursprünglichen Sinn von Gedöns als Hin- und Herziehen hat eine aufgeklärte Gesellschaftspolitik die Problematik seither zu glätten versucht. Doch auch löbliche Ansätze wie Nichtdiskriminierung, Frauenförderung, Gender Mainstreaming u. a. haben die Sperrigkeit der sogenannten Frauenrolle kaum gemindert. Es bleibt das Verdienst von Exkanzler Schröder, solche Bemühungen 30 Jahre später für alle Zeiten als Gedöns markiert zu haben.
Der Beitrag von Peter Unfried vom letzten Wochenende zum Gedöns-Kongress weckt Erwartungen. Hat die taz wirklich vor, ein Ganzes in den Blick zu nehmen, „auf das alles zulaufen muss“? Hat sie den Mut, an Gittern zu rütteln, die Gedöns und Markenkern voneinander trennen? Frau ist gespannt. ELISABETH STIEFEL, Köln
Einfach nur widerlich!
■ betr.: „Der ganz normale Wüstenwahnsinn“, taz vom 19. 1. 15
Bei der Handball WM kann man „im Kleinen“ exemplarisch betrachten, was dem Profisport droht, sollte er sich weiter so hemmungslos verkaufen. Es war schon peinlich, Deutschland mit einer Wildcard für das klägliche Scheitern in der Qualifikation zu belohnen und den Australiern das WM-Ticket wegzunehmen. Egal, wie gut das Team jetzt spielt. Richtig erbärmlich sind aber die unterirdische Stimmung in Katar, die gekauften Fans und die ebenso erworbene und schnell eingebürgerte Mannschaft des Emirats. Die Sportverbände prostituieren sich, ihren Sport und ihre Werte an Diktatoren, die leider genug vom Einzigen haben, was heute auf dieser Welt noch zählt unendlich viel Geld. In der Politik wird diskutiert über IS und al Qaida, aber den mutmaßlichen Geldgebern macht man weiter den Hof. Einfach nur widerlich! MARKUS MEISTER, Kassel
Schmunzeln erwünscht
■ betr.: „Je suis Houellebecq“ von Doris Akrap, taz vom 10. 1. 15, „Die Träne des Propheten“ von Deniz Yücel, taz vom 14. 1. 15
So wie Deniz Yücel bin ich der Überzeugung, dass in der Zeichnung auf der Charlie-Hebdo-Ausgabe vom 14. 1. 15 die Meisterleistung vollbracht ist, in einem einzigen Bild herzzerreißende Trauer, eine Basis zwischen allen Menschenfreunden und den menschenfreundlichen Seiten von Propheten / Gottheiten etc. sowie ein Signal der eigenen Standhaftigkeit auszudrücken. Das Bild nimmt Mohammed geradezu in Schutz vor der Vereinnahmung durch Mörder. Schmunzeln erwünscht. Nun stören sich dennoch viele an diesem Bild oder an anderen Zeichnungen, Texten, Filmen etc., die Religionen kritisieren beziehungsweise karikieren. Sofort fällt dann das Argument, man dürfe religiöse Gefühle nicht beleidigen. Mit diesem „Argument“ wird klargestellt: Ich bestimme 1. Diskursform und -inhalt; 2. welche kritischen Äußerungen, je nach Gusto, geschmacklos, verboten, verabscheuungswürdig, zu sanktionieren etc. seien; 3. dass alle sich dieser „Moral der verletzten Gefühle“ zu unterwerfen hätten. Dass sich aber Millionen Menschen durch Äußerungen und Taten von allerlei VertreterInnen sämtlicher Religionsgemeinschaften verunglimpft und angegriffen fühlen könnten, ist in diesen Gedankengängen völlig schnurz. Wenn ich allein die Äußerungen von führenden Herren der katholischen Kirche zu Wesen, Aufgaben von und Verhaltensregeln, Verboten für Frauen lese, könnte ich von früh bis spät beleidigt sein. Religionen ist, wie allen anderen autoritären Systemen, das Streben nach Herrschaft über Denken, Leben (und Lachen) der Menschen wesenhaft. Gesetze, Ge- und Verbote, Moralsysteme werden qua Dogma einer argumentativen Auseinandersetzung entbunden. Die Diskussion darüber ist anstrengend, oft wenig fruchtbar und zermürbend. Also warum sich nicht ein wenig gehen lassen?
Damit wäre ich bei Houellebecqs neuem Roman, einem Buch, das wohl vor allem thematisiert, woher diese freiwillige Selbstunterwerfung rührt und wohin sie führt: in die Abgabe der Entscheidungen zu Lebensführung und Gesellschaftsform an eine Autorität.
CHRISTINE PÖLLATH, Regensburg