LESERINNENBRIEFE :
„Den Tigerberg erobern“
■ betr.: „Markt und Marken“, sonntaz vom 29./30. 10. 11
„Briefmarken als Kapitalreserve“ – das war eine Illusion der 60er Jahre. Ein Überangebot von Briefmarken stößt heute auf wenige Sammler. Letztendlich ist es Papier um das es geht, und wenn zu viel davon da ist, ist der Altpapierpreis die Orientierung, sofern die Briefmarke keinen Frankaturwert mehr hat. Aber Briefmarken – und noch stärker Briefumschläge – sind als Zeugen der Kommunikation und der Zeitgeschichte Kulturgegenstände, und als solche können sie interessant und begehrt, und dadurch auch wertvoll sein.
Schauen wir nach China: 1966 bis circa 1976 war das Briefmarkensammeln verboten und galt als bourgeoise Tätigkeit. Nun versuchen die Menschen, die zu Geld gekommen sind und sich Kulturgüter leisten können, ihre Marken aus dem Ausland zurückzukaufen. Seit 1976 steigt das Interesse unaufhörlich, und ebenso steigen die Preise. Die Briefmarke zum „Jahr des Affen“ ist sehr beliebt. Ich bekam sie 1980 für 10 Pfennige das Stück aus Peking zugesandt; heute wird die Marke, sofern ungestempelt, mit über 1.000 Euro bezahlt. Auf breiter Front steigen die Preise chinesischer Briefmarken, die bis 1990 erschienen sind.
Selbst die Ansichtskartenserien zu den Pekingopern „Den Tigerberg erobern“, „Rote Signallaterne“ oder „Frauenbataillon“, die wir als maoistische Mitglieder der Kommunistischen Hochschulgruppe (KHG) in den 70er Jahren in Stuttgart-Hohenheim an unserem Büchertisch verkauften, erlösen heute je einen guten Zehner. Mit dem seltsamen Hobby „Briefmarken sammeln“ galt man als „Rechtsabweichler“ in der KHG; nur dass es „China“ war, schützte meine Reputation. Egal, es machte Spaß, und heute kann anhand von Briefumschlägen aus China sowohl die Kulturrevolution als auch das Exil von Tausenden Juden in Shanghai während der Nazizeit dokumentiert werden.
Zurück zu Deutschland: Dass über eine Helmut Kohl-Marke diskutiert wird, jedoch nicht über eine Rudi-Dutschke-Marke, zeigt mir, dass die historische Bedeutung der 68er noch stark unterschätzt wird. Jedes Jahr bekommen wir auf den Briefmarken Motive und Themen aufgetischt, die nur selten spannend sind und deswegen nur wenige animieren, sie aufzuheben. Alte Briefumschläge Deutschlands, die die Kriegs- und Notzeiten dokumentieren, egal ob Post aus Stalingrad oder Theresienstadt – sie werden von den Sammlern hoch geschätzt und hoch bewertet. In dem Fall funktioniert sogar eine vernünftige Geldanlage, aber die Hauptsache beim Sammeln ist, dass man Spaß dabei hat. WALTER HAVEMAN, Aalen
Im Dienste der 1 Prozent
■ betr.: „Er muss sich erklären“, Interview, taz vom 4. 11. 11
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Jan-Hendrik Olbertz, nach über 20 Jahren im Arbeitsprozess habe ich mich im Alter von fast 52 Jahren entschlossen, doch noch zu promovieren. Ich verfüge über ein Diplom der agrarwissenschaftlichen Fakultät der TU München. An Themen könnte ich mir verschiedenes vorstellen:
1. Verweigerung von Spargelstechdiensten durch Langzeitarbeitslose als Hauptursache von Welthunger und der Finanzkrise.
2. Abwendung der Klimakatastrophe durch erzwungene Einführung der flächendeckenden Gentechnik in der EU in Pflanzen- und Tierproduktion.
3. Becquerelbelastung der Nahrungsmittel durch Azofarbstoffe in Kopftuchtextilien von integrationsverweigernden Muslima.
Bei diesen Themen werden sich doch reichlich Drittmittel auftreiben lassen. Ich werde in den nächsten Tagen schon mal die Abstracts zusammenstellen, sodass garantiert ist, dass die Drittmittelerbringer der Veröffentlichung der Ergebnisse nicht widersprechen. Des Weiteren möchte ich darauf hinweisen, dass ich ausgezeichnet aus Wikipedia zusammenkopieren kann und erkläre hiermit schon an Eides Statt, dass ich niemals Verteidigungsminister werde. Sie wollen ja Gott sei Dank keine Kontrolle (das wäre ja Volksherrschaft, Stalinismus und Scharia in einem). Allerdings ist eine Querfinanzierung über meine Frau nicht möglich. Ihr ist nicht klarzumachen, dass Wissenschaft heutzutage nichts mit Ehrlichkeit zu tun hat, sondern im Dienste der 1 Prozent Superreichen steht. JOACHIM GOSCH, Köln