LESERINNENBRIEFE :
SPD lernt langsam dazu
■ betr.: „Die Hartz-Reform hat Abstiegsängste ausgelöst“,taz vom 1. 4. 15
Ein schönes, weil irgendwie entlarvendes Interview. Thorsten Schäfer-Gümbel verwendet immer noch den klassischen Sicherheitsbegriff der SPD (soziale Sicherheit), obwohl er merken müsste, dass von der SPD ein weiter Sicherheitsbegriff verwendet werden sollte, um auf die vielfältigen Ängste der Menschen eine angemessene Antwort geben zu können. Es muss um Sicherheit als zentrale Orientierung der Gesellschaftspolitik gehen, zum Beispiel in Bezug auf die Bildungs-, die Familien-, die Kultur- oder die „Identitäts“-Politik, von „innerer Sicherheit“ einmal ganz zu schweigen.
Wer sich bildet, möchte gern die Sicherheit haben, sozial aufsteigen zu können – er will nicht in einem prekären Job landen. Wer einen knapp über dem Mindestlohn bezahlten Job im Dienstleistungsgewerbe hat, möchte sicher sein, nicht von jemandem verdrängt zu werden, der aus einem EU-Land nach Deutschland kommt. Und wer sich zur Mitte der Gesellschaft zugehörig fühlt, will diesen Status auch behalten.
Woher weiß Herr Schäfer-Gümbel, dass die von ihm als Zielgruppe genannte arbeitende Mitte wirklich SPD wählt? Zwischen Sozialstruktur und Wahlverhalten besteht schon lange kein signifikanter Zusammenhang mehr. Immerhin, die SPD lernt langsam dazu. Auch das wird in dem Interview deutlich. Doch das geringe Tempo lässt, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht gravierend ändern, für 2017 keinen Wechsel erwarten. GERO NEUGEBAUER, Berlin
Pietätvolle Geste
■ betr.: „Mit schmutzigen Händen“, taz vom 4. 4. 15
Mir ist bewusst, dass viele Menschen sich erst rühren, wenn es etwas zu meckern gibt. Das möchte ich heute einmal nicht tun. Nein, ganz im Gegenteil möchte ich Ihnen kurz und knapp ein Lob aussprechen. Dank für Ihre Besonnenheit.
Es mag befremdlich klingen und doch muss ich sagen, dass ich Ihre Art der Berichterstattung zum Thema Germanwings-Absturz als Erleichterung empfunden habe. Sie haben darauf verzichtet, den Namen des Co-Piloten zu veröffentlichen, sowie darauf, Bilder zu publizieren. Ich bin mir bewusst, dass andere Medien diesen sensationsgeilen Weg auf Bild-Niveau längst ausgiebig beschritten haben, und trotzdem empfinde ich es als pietätvolle Geste Ihrerseits.
Ein Grund mehr, Ihnen als Leser, von mir aus auch Leserin, treu zu bleiben. WIEBKE REINSDORFF, Hamburg
Fußball ist Zufall
■ betr.: Was ist Gerechtigkeit im Fußball?“, taz vom 9. 4. 15
Gerechtigkeit im Fußball gibt es nicht. Fußball ist Zufall, aber genau darin ist der Reiz dieser Sportart begründet. JULIA ENGELS, Elsdorf
Greater and better
■ betr.: „Wie ein erlegtes Wild am Boden“ u. a., taz vom 9. 4. 15
Leider wahr, aber eben nicht nur bei der US-amerikanischen Polizei: Weiß sein fühlt sich gut an, stärker sein fühlt sich gut an, Macht haben fühlt sich gut an. We are greater and better und wir sind ja so cool! Deshalb können wir auch „kleine Schnitzer“ lässig zugeben … wie in der kleinen Spalte zu einem ganz anderen Sujet darüber zu lesen war: „Griechen haben – auch wenn wir gestern auf Seite 4 das Gegenteil behauptet haben – immer noch ihr eigenes Alphabet.“ Welche Arroganz und welcher Chauvinismus in der Berichterstattung direkt über dem Artikel zum „erlegten Wild“.
So, so, die Griechen haben doch tatsächlich noch ein eigenes Alphabet. Und es unterscheidet sich sogar vom russischen! Sieh mal an. Außerhalb unserer Breitengrade doch mehr als undifferenzierte Rauchzeichen. Und wehe, die Russen kaufen die Griechen, wo das doch unser Job ist. Denn wir kaufen uns gerne das, was wir wollen, weil wir’s einfach können. Denn wir sind greater and better und das fühlt sich ja so gut an! HILDEGARD MEIER, Köln
Ist das nicht bemerkenswert?
■ betr.: „Tsipras tankt Kraft in Moskau“ u. a., taz vom 9. 4. 15
Griechenland, in Schuldenspirale, Verarmung und sinkende Wirtschaftsleistung getrieben, nimmt wirtschaftliche Kontakte zu Russland auf und erntet von den marktwirtschaftlich führenden Demokratien der EU und USA höchste Empörung. Ist das nicht bemerkenswert?
Die gleiche Wertegesellschaft reagiert etwas beunruhigt über immer mehr brennende Asylheime, Gewalttaten, Morde und hervorquellenden braunen Sumpf. Drohenden Faschismus will niemand sehen oder gehört haben, wird geleugnet. Jene, die Ausländerhass und Rassismus freien Lauf lassen, ihm Zündstoff geben, heucheln Empörung zu realen gesellschaftlichen Gefahren. Wer offenen Auges und Ohres durch das Land geht, muss merken, wie weit es bereits ist. Krieg, Rüstung, militärische Bedrohungen werden Freiheits-, Demokratie- und Friedenssicherung genannt. Umfassend berichtet wird, wie in den USA Menschen „wie Hasen abgeschossen“ werden. Empörung ist weniger zu spüren und Ermahnung wegen Menschenrechten auch nicht.
Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein um zu wissen, wie wenige Schritte es noch braucht. Zeitgeist verbietet Malerei von Negativszenarien und die große Mehrheit weiß und ahnt wieder nichts. ROLAND WINKLER, Aue