Kurt Beck überlegt: Beim Barte des Proleten
"Für eine Million Euro, für einen guten Zweck", erwiderte SPD-Chef Kurt Beck auf die Frage, für welchen Preis er sich von seinem Vollbart trennen würde. Jetzt haben wir den Salat.
![](https://taz.de/picture/391459/14/Beck_01.jpg)
Kurt Beck überlegt noch. Durchaus darf man sich jetzt vorstellen, wie der SPD-Chef zu Hause im südwestpfälzischen Steinfeld den massigen Kopf auf beide Hände stützt und grübelt. Nicht um die Arbeitslosigkeit geht es diesmal, den Mindestlohn oder die Kanzlerkandidatur. Sondern um seinen Bart. Irgendwann dann rufen die Terrier von Bild am Sonntag an, fragen nach, drängen auf eine Entscheidung, und Beck lässt ausrichten: "Ich überlege noch."
Am 1. Mai hatte er in einer Gesprächsrunde auf die Frage, für wie viel Geld er sich rasieren würde, leichthin geantwortet: "Für eine Million Euro, für einen guten Zweck." Gesagt ist gesagt, sagte der 59-Jährige, und konkretisierte denn auch nachträglich flugs die Bedingungen für sein Angebot: "Es muss seriös sein, darf kein Spektakel werden. Die Aktion muss wirklich Hilfsbedürftigen helfen."
Als Spektakel hat es diese tolle Idee inzwischen immerhin auf Seite 1 der seriösen Bild-Zeitung aus der Rudi-Dutschke-Straße gebracht. Was aber könnte es zu bedeuten haben, wenn einer der mächtigsten Politiker dieses Landes "noch überlegt", ob er sich tatsächlich auf eine Schnapsidee festnageln lassen soll, die den "Schnaps" auch nach längeren, PR-geschulten Überlegungen nicht wirklich ablegen und eine gute "Idee" werden könnte? Das Affentheater bedeutet zunächst einmal, dass es diesem Land offensichtlich gut geht. Zu gut.
Darüber hinaus erlaubt diese alberne Affäre natürlich auch Rückschlüsse auf die Heftigkeit der Ruderbewegungen, mit denen Kurt Beck sich und seine Partei aus dem selbst verschuldeten Umfragentief befreien will.
An dieser Stelle ließen sich nun lustige kulturwissenschaftliche Erörterungen über den Bart in der politischen Arena anstellen, mit vielen Querverweisen auf fragwürdige behaarte SPD-Gesichter; den hoffnungsfrohen frühen Rudolf Scharping; Matthias Platzeck mit seinem Gebrauchtwagenhändlerdreitagebart; Wolfgang Thierse ("Von drauß, vom Walde komm ich her …"); Peter Struck mit seiner vom Tabakqualm angegilbten Rotzbremse. Einfließen lassen könnte man, dass derzeit, bis auf Brasilien, kein demokratisches Land von einem Vollbart regiert wird. Und dass gerade der Vollbart - physiologisch nichts anderes als Schamhaar, nur eben mitten im Gesicht - die kommunikative Benutzeroberfläche des Menschen, sein Antlitz nämlich, zuverlässig hinter einem virilen Pelzwuchs verbirgt und damit unbrauchbar macht. Das führt aber alles nirgendwohin. Im Gegensatz zur nüchternen Feststellung, dass sein leutseliges Geschnatter den Kurt Beck nun schon zum dritten Mal hat in die Falle tappen lassen.
Erste Falle: Becks launiger Rat an den Arbeitslosen Enrico Frank, er möge sich "waschen und rasieren", dann bekomme er auch einen Job - womit der Pfälzer das Heer der Erwerbslosen gegen sich aufbrachte und seine sozialpolitische Glaubwürdigkeit ohne Not an das künftige berufliche Schicksal des von ihm Gemaßregelten kettete.
Zweite Falle: Becks voreilig geäußerte und nicht mit den Gremien abgestimmte Bereitschaft, die "Duldung" einer hessischen SPD-Ministerpräsidentin durch die Linke in Kauf zu nehmen.
Derzeit also steckt er in der dritten Falle, und auch aus dieser wird er nicht ohne Beschädigungen hinausfinden. Verweigert er die Rasur, gilt er als wortbrüchig - lässt er sie für Geld zu, als käuflich.
Wäre er nicht so legendär beratungsresistent, man würde Kurt Beck jetzt gerne empfehlen, den Quatsch mit der "Million Euro" oder dem "guten Zweck" schleunigst zu vergessen und stattdessen zu erklären: "Ich schneide mir den Bart ab, wenn Helmut Kohl endlich die Namen der Parteispender nennt."
Er überlegt ja. Noch.
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