Kurswechsel von CSU und FDP: Die Verwandlung der Parteien
Die CSU erlebt in Kreuth eine historische Klausur und nimmt Abschied von der Sonderrolle. Das Zepter des Störenfrieds wird nach Stuttgart an die FDP weitergereicht.
Nicht dass noch einer auf die Idee kommt, der Mann habe damit irgendetwas zu tun. Mit dem marktschreierischen Krawall, für den dieser Ort früher einmal stand. Mit dem sinnlosen Kampf um die Sonderrolle dieser einst stolzen Partei, für den das verschneite Wildbad Kreuth nun schon im vierten Krisenjahr die Kulisse abgibt. Nur dass die Wahlergebnisse und Umfragewerte von Jahr zu Jahr schlechter werden, auch wenn altgediente Christsoziale denken, schlechter geht es nun nicht mehr.
Karl-Theodor zu Guttenberg kommt erst am Mittwochabend, da haben die anderen schon einen halben Tag im Tiefparterre des Kreuther Tagungszentrums hinter sich, haben gehört, wie Parteichef Horst Seehofer ein "Jahrzehnt der Erneuerung in Deutschland" ausrief. Es ist längst dunkel, als Guttenberg aus dem Auto aussteigt, ein paar Schritte auf die Journalisten zugeht, routiniert die Fragen zum Einsatz in Afghanistan beantwortet.
Nur die Parole von der Erneuerung, die beeindruckt den Minister wenig. "Das höre ich jetzt zum ersten Mal - von Ihnen", sagt er zu den Journalisten. Nach einem Moment des Zögerns fügt er hinzu: "Ist doch schön, dann erneuern wir mal."
Gemeiner könnte man nicht beschreiben, wie sich die Münchener CSU-Granden durch stetes Abstrampeln nur immer tiefer in den Sumpf befördert haben. Gerade deshalb aber hat die Kreuther Tagung des Jahres 2010 das Zeug dazu, als Wendepunkt in die CSU-Geschichte einzugehen. Als das Datum, an dem sich selbst ein Horst Seehofer in das Unvermeidliche fügte, das einer wie Guttenberg schon viel früher erkannt hat. Ins Ende der bayerischen Sonderrolle, in die Zukunft der CSU als gewöhnlicher Landesverband der Union.
"Westerwelle wird der erste sein, der die Fahne einrollen muss", sagte Seehofer gleich am Mittwoch vor den in Kreuth versammelten CSU-Bundestagsabgeordneten über den FDP-Chef und dessen Wunsch nach Steuersenkungen. Dessen Wunsch? Wer hatte denn die widerstrebende Bundeskanzlerin bereits vor einem Jahr zu niedrigeren Sätzen gezwungen, zu einem Zeitpunkt, als die FDP noch längst nicht an der Regierung war? Wer hatte die ganze Steuerdebatte im vorletzten Sommer überhaupt erst losgetreten?
Tatsächlich war es Seehofer, der mit diesem Satz in Kreuth die Fahne des Steuersenkers einrollte. Seit dem selbstverschuldeten Milliardendebakel um die örtliche Landesbank muss auch der einst so stolze Freistaat mit jedem Euro rechnen.
Mit dem Kurswechsel von Kreuth reiht sich Seehofer nun brav in die Reihe der CDU-Politiker ein, die mit sorgenvollen Hinweisen auf die Finanzlage der Kanzlerin den Rücken freihalten für die Kompromissfindung im Sommer. Der frühere Münchener Sonnenkönig sagt nun das Gleiche wie die Regierungschefs aus Magdeburg und Kiel. Oder wie der Düsseldorfer Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, der in Kreuth zu Gast war. Für die CSU ist er ohnehin ein wandelndes Menetekel. Weil er die Bayern vom Podest des größten unionsregierten Bundeslands gestoßen hat, weil er anhand der nordrhein-westfälischen SPD gezeigt hat, wie einer langjährigen Monopolpartei die Macht einfach entgleiten kann.
Als wäre das alles nicht schlimm genug, fährt am Donnerstagmittag auch noch Edmund Stoiber am früheren Badehaus der bayerischen Könige vor. Die EU-Kommission habe seinen Job als Beauftragter für den Bürokratieabbau soeben verlängert, erklärt er ungefragt. "Mit erweiterten Kompetenzen", fügt er stolz hinzu. "Ich habe das Angebot angenommen." Er schaut, als habe er soeben die Zweidrittelmehrheit im bayerischen Landtag zurückerobert.
Wer Krawall und Populismus nach Art der alten CSU erleben will, der darf von jetzt an nicht mehr nach Kreuth fahren. Er muss nach Stuttgart - zum Dreikönigstreffen der FDP. Dort präsentierte sich Parteichef Guido Westerwelle am Mittwoch als der neue Edmund Stoiber.
Der Schauplatz ist dafür mindestens so gut geeignet, vielleicht sogar besser. Statt vor der metaphorischen Kulisse der bayerischen Berge findet das Stuttgarter Treffen auf der realen Bühne des Württembergischen Staatstheaters statt, wo sich vor einem prächtigen Jugendstilsaal auch im wirklichen Leben Operndiven produzieren. Nach dem historisch besten FDP-Ergebnis ist Westerwelle in einer Stimmung wie Stoiber nach seinem letzten Wahltriumph 2003.
Und so schreit und zetert der FDP-Chef mit einstudierten Gesten, die an den Schauspieler Martin Wuttke im Brecht-Stück "Arturo Ui" erinnern. Er wiederholt einfach seine Wahlkampfrede und lobt den Umstand, dass er als Regierender nichts Neues sagt, als lobenswerte Konsequenz. Er verirrt sich in umständlichen Beispielen, die fast schon an Stoibers Transrapid zum Flughafen erinnern. Er fordert eine "geistig-politische Wende", die schon 1982 scheiterte.
Seiner Fraktionschefin Birgit Homburger überlässt er es, gegenüber der Union auf Steuersenkungen zu beharren. Der Koalitionsvertrag sei "keine Wunschliste", sondern ein Arbeitsprogramm. "Da braucht man nicht lange auf eine Steuerschätzung zu warten." So ist es jetzt die FDP, die in der Rolle des alleinigen Rebellen den Unionsparteien gegenübertritt, wenn sich die Koalitionsspitzen schon Mitte Januar zu einem Krisengipfel im Kanzleramt treffen.
Die interessanteren Töne schlägt Christian Lindner an, der dreißigjährige Abgeordnete aus Nordrhein-Westfalen, den Westerwelle nach langem Zögern zum neuen Generalsekretär machte. Das Zögern erweist sich nun als berechtigt. Mit seinem Plädoyer für einen "mitfühlenden Liberalismus", seiner ersten großen Rede, überflügelte Lindner in Stuttgart rhetorisch den Parteichef. Über Westerwelles wirtschaftsliberale "Wiesbadener Grundsätze" hatte Lindner schon vor einem Jahr gesagt, sie litten unter "argumentativer Materialermüdung".
Die Zeiten der Einmannpartei sind mit der Regierungsübernahme ohnehin vorbei. Nicht nur der Generalsekretär ist wichtiger geworden, seit der Parteichef als Außenminister um die Welt reist. Es gibt obendrein die Minister, darunter den 36-jährigen Gesundheitspolitiker Philipp Rösler, den Westerwelle mit einem zweischneidigen Lob fürs gelungene Management der Schweinegrippe würdigt.
Westerwelle selbst hielt seine erste Stuttgarter Dreikönigsrede als neuer Generalsekretär im Januar 1995, mit 33 Jahren. Sechs Jahre später wurde er Parteichef. Ein guter Grund, die jungen Leute fest im Blick zu halten. Und gelegentlich darüber nachzudenken, was mit Stoiber nach dessen größtem Wahltriumph geschah.
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