Kunstrundgang : Brigitte Werneburg schaut sich in den Galerien von Berlin um
Die Vorhänge sind zugezogen, statt des gleißenden Neonlichts erhellt ein Leuchtenklassiker – runder Milchglasballon am langen Stahlrohr – eher spärlich den dunkel ausgemalten Raum. Eine gefährlich steile Leiter ist gegen die Wand gelehnt. Sie führt zu einem knapp unter der Decke angebrachten Bücherbord. Wer sich die dort befindlichen Ordner holen und sich informieren will, braucht Mut. Vielleicht aber verlangt Christian Flamms Installation in der Galerie NEU überhaupt Mut?
Doch das läge dann nicht an der steilen Leiter, sondern an den steilen Bildern, die an den dunklen Wänden prangen: riesige, schwarz-weiße Scherenschnitte, die durchweg zauberhafte Gestalten zeigen. Romantische Märchenfiguren, schmale Knaben mit einem locker um den Hals gebundenen Schal balancieren auf eben einer solchen Leiter, wie sie im Raum zu finden ist, und lesen dabei im aufgeschlagen Buch, das sie in ihrer Rechten halten. Seehunde tragen Königskronen und blicken den Betrachter ernst und konzentriert an. Prinzessinnen nähen mit Nadeln, die so groß wie Säbel sind, und der Embonpoint älterer Herren entpuppt sich als klassische Bombe in Kanonenkugelform mit schon entflammter Zündschnur.
Ein Verweis auf Zeiten, als der 1974 geborene Künstler noch die Chiffren des sozialen Protests bemühte – in dem mit auffälliger Sorgfalt hergestellten Katalog sind dazu die Arbeiten „Aendert Euch“ und „Rivolta e Negazion“ aufgeführt. Damals war auch noch üppig Farbe im Spiel bei den am Computer entworfenen Szenarien der Freundschaft und des Aktionismus. Heute nun, mit der Betonung der klassischen Vorgaben des Scherenschnitts und seiner märchenhaften Motive, hilft das Interior design, der Raum als Gesamtkunstwerk, die nötige Ambivalenz hervorzurufen, auf dass man sich doch noch von dieser Welt wähnt.