Kunstrundgang : Harald Fricke schaut sich in den Galerien von Berlin um
Es brummt unter der Kuppel, es dröhnt im Turm und es knarzt auf den Stiegen. Überhaupt scheint sich die Parochialkirche in ein Laboratorium voller Noise verwandelt zu haben. Das ist der Stil von Maryanne Amacher: Statt freundlich mit Klangkunst ein bisschen akustische Dekoration zu liefern übernimmt sie lieber gleich das ganze Haus. Das Ergebnis ist eine verschachtelte Sound-Installation, die als Projekt der „Singuhr - Hörgalerie“ unter dem Titel „Gravity - Music for Sound Joint Rooms Series“ im eineinhalbstündigen Rhythmus läuft, irgendwo zwischen futuristischem Sägefrequenz-Splatter und Mille Plateaux.
Dabei ist die 1943 geborene amerikanische Komponistin Amacher sehr genau im Umgang mit Tönen. In ihrer Arbeit geht es um die Schnittmenge aus Musik und Architektur: Jeder Klang ist ortsspezifisch, reagiert also darauf, wie etwa Backsteinwände oder Holzbohlen den Sound reflektieren, brechen und verändern. Amacher liefert das Material, das Publikum kann sich frei den Platz auswählen, wo es welche Sounds am besten hören kann. Der Raum ist die Party.
Dass die Natur selbst auch gerne Musik macht, zeigt Nevin Aladag in ihrem Video „Voice Over“. Ein Auto kurvt durch die Stadt, eine Hand hält eine Mundharmonika in den Fahrwind - schon hört man eine Melodie. Später stehen Trommeln im Regen, auf denen die Tropfen marschieren. Dazwischen sieht man junge Deutschtürken, die in Nightshot-Aufnahmen traditionelle Liebeslieder ihrer Eltern und Großeltern singen.
Der 1972 geborenen Aladag geht es im Kontext von Sound auch um migrantische Erfahrungen: In den Liedern blitzt eine Sehnsucht nach Vergangenheit auf, obwohl die Kids sich gewiss eher mit Kreuzberg als mit Anatolien oder Kurdistan identifizieren. Man lebt hier, aber in der Musik fühlt man sich heimisch.