Kunstrundgang : Harald Fricke schaut sich in den Galerien von Berlin um
Die Schaufensterfront der Galerie Nord ist der Hit. Auf den ersten Blick kann man sehen, was einen an Kunst erwartet. Oder auch nicht. Denn die Ausstellung „Zeugen der Abwesenheit“ ist kleinteilig, detailfreudig und architektonisch verwirrend. Man muss also trotzdem rein in die gute Stube. Dort hat die Kuratorin Ulrike Kremeier, die von der Plattform in der Weydinger Straße ans Museum nach Brest wechselt, noch einmal zusammengefasst, was sie an Gegenwartskunst interessiert. Wie funktionieren Subjekte angesichts von Gendertheorie und sozialen Verwerfungen? Und wie korrespondieren diese Lebensentwürfe mit konkreten Räumen, in denen Öffentlichkeit stattfindet?
Von Daniela Comani stammen „Double Drawings“, auf denen sich die Umrisslinien männlicher und weiblicher Porträts, aber auch Körperstudien und Pornoklischees überlagern. Die Zeichnungen sind in groben Strichen gehalten und zugleich auf Intimität fokussiert. So bleibt die Spannung erhalten, weiß man nie, ob die Szenen tagebuchartig sind oder nach Vorlagen aus Sexheften entstanden. Umgekehrt setzt Ursula Döbereiner mit ihrer raumgreifenden Digitalzeichnung auf eine grafisch verwirrende Vielschichtigkeit. Als Tapete geklebt, zeigt ihr überdimensionaler Computerausdruck die Innenraumgestaltung für das Schloss Linderhof, das Ludwig II. 1870 bauen ließ. Der ästhetische Absolutismus des bayerischen Königs wird nun zum Spiel aus Linien, Zacken und Ornamenten, bis die ursprünglich romantische Weltfluchtvision im realen Raum quasi sich selbst in die Falle geht. Nicht minder geschickt geht Edith Dakovic mit ihren „Mer-made Products“ vor: Schwimmflügel und Rettungsringe aus fleischfarbenem Silikon werden mit Sehnsuchtsmotiven von Seemännern tätowiert. Man denkt an Robert Gober und pfeift auf Hans Albers.