Kunstquartier Venedig: Mit Küßchengruß
■ Lego-Auschwitz zurückgezogen
Die Venezianer haben eine charmante Art zu telefonieren. Egal, ob im Cafe oder auf der Straße – wenn das Handy piept, wenden sie sich nicht von ihrer Begleitung ab, um ein paar Schritte abseits auf das Gerät einzureden. Vielmehr wird ihr Gegenüber stets freundlich mit ins Gespräch einbezogen, darf dem Sprecher am anderen Ende zuwinken und zum Schluß sogar einen Küßchengruß ins Handy werfen. Daneben kommt sich unsereiner eher wie ein Taugenichts vor, wenn eine Gruppe Jugendlicher nach irgendeinem Traghetto fragt und man nur kleinlaut „sorry“ stammeln kann. Dann zischt eine junge Frau gereizt „Pronto Venezia!“, und man stiehlt sich, Fremdling, der man ist, vom Bootsanleger. Vielleicht liegt es auch an der roten Knolle im Gesicht, die früher mal eine Nase war, nun aber zwei Tage lang lotionslos in der Sonne geschmort hat – wer sich nicht eincremt, den bestrahlt das Leben.
In den Giardini ist das Durcheinander am Tag vor der Presse-Eröffnung der Biennale gewaltig. Baukräne hantieren ohne Plan an einem Fahnenmast, den Handwerkern fehlt der Schlüssel, um das Monstrum in der Verstrebung zu montieren. Dazwischen traben einige griechische Künstler mißmutig umher, weil sie Hauptkurator Germano Celant aus dem Pavillon auf eine Durchgangsallee umquartiert hat.
An diese strenge Vorgabe muß sich auch die Israelin Sigalit Landau halten, deren Container-Arbeit zum Palästina- Konflikt nun ausgelagert neben einem Mahnmal für die gefallenen Soldaten des Zweiten Weltkriegs steht. Sie hat den Affront gegen ihre Installation wutschnaubend hingenommen und „Infected“ auf den Stahlkasten gedruckt. Jetzt müssen Besucher bloß noch die Ironie vor Ort verstehen. Bei Komar & Melamid liegen die Interessen umgekehrt: Ihr Beitrag konnte im russischen Pavillon nicht realisiert werden, weil von vergangenen Biennalen eine Rechnung über 35.000 Dollar offensteht. Also wurde Rußland von den Stadtwerken Venedigs der Strom abgestellt. Sofort sprang Celant ein und holte die beiden Künstler in seine Themenausstellung „Future, Present, Past“. Jetzt gehören sie eben zur Kunstgeschichte, und die ist nicht Ländersache.
Bereits vor zwei Wochen wiederum wurde Zbigniew Liberas Auschwitz-Nachbau aus Legosteinen aus dem Verkehr gezogen – allerdings durch den polnischen Kurator und nicht von Celant, der gegen eine wie auch immer geartete Provokation nichts einzuwenden hat, so lange sie ihm nur die Sicht auf die Pavillons nicht versperrt.
Jetzt fühlt sich Libera als Opfer der Zensur, weil er doch bloß „gesellschaftliche Projektionen in die Vorstellungswelt des Kindes“ übertragen wollte. Das Argument ist scheinheilig: Schon seine puppenbettgroßen Abtreibungsliegen zum Thema Kindesmißbrauch, die er letztes Jahr in Dresden zeigte, tippen vordergründig an ein Tabu, das sich als Kunstobjekt allein Erwachsenen erschließt. Für Kinder sehen die kleinen Wannen weiterhin wie Spielzeug aus. Im Grunde führt Liberas „Toys 'R' Us“-Ideologie lediglich Verführung noch einmal vor; sein Zynismus bedient sich indessen einer distanzierten Kennerschaft, die Gaskammern als Untergangssymbole verbucht und gleichzeitig mit dem Rest-Thrill liebäugelt. So hangelt sich jemand stumpf an Übertretungsphantasien auf dem Markt empor, indem er unentwegt ruft: Apokalypse, schau! hf
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