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Aus taz FUTURZWEI

Kunst gegen die Klimakrise? Da lacht die Koralle

Dummheit ist ein konstantes Phänomen der Menschheitsgeschichte. Aber jetzt hat das Kunstmuseum Baden-Baden eine neue Benchmark gesetzt – mit Häkelkorallen.

Weiß selbst nicht so genau, ob sie lachen oder weinen soll: Die Koralle. Foto: Jimmy Chang/unsplash

taz FUTURZWEI, Augabe N°20 | Seit sich die Sache mit dem Klimawandel herumgesprochen hat, gibt es natürlich auch Kunst zum Klimawandel. Der bislang dümmlichste Beitrag dazu stammte vom Großkünstler Ólafur Elíasson, der zusammen mit einem Kollegen im Jahr 2019 dreißig Eisblöcke von beträchtlicher Größe vor der Tate Modern in London platzierte, die eigens dem Nuup-Kangerlua-Fjord in Grönland entnommen und dann nach London transportiert wurden.

Diese durchaus aufwendige Aktion wurde, wie es hieß, vorgenommen, um dem Publikum die dramatische Lage an den Polkappen klar zu machen. Denn, niemand hätte das für möglich gehalten, dieses arktische Eis schmolz doch dann in London tatsächlich, und machte auf diese Weise dem kunstgeneigten Publikum klar: Das Eis schmilzt.

Thank you, Captain Obvious!

Jetzt könnte man sagen: Das wusste das Publikum doch schon, dass das Eis schmilzt, wenn die Temperatur über dem Gefrierpunkt liegt. Aber wenn man sich und dem Weltklima diese Aktion erspart hätte, hätten ja Künstler und Kuratoren und Medien ihrem Aufklärungsimpetus nicht frönen können, der in der famosen Idee besteht, etwas gegen den Klimawandel zu tun, indem man seine Folgen, die jeder kennt, verdoppelt. Eis schmilzt, ach was, so so, schlimme Sache. Muss man deshalb auch ganz schnell hin, nach London, sonst ist es ja geschmolzen und man kann das gar nicht mehr sehen, das Eis aus der Arktis. Sondern womöglich nur noch ein paar Pfützen, die man gar nicht von denen unterscheiden kann, die es in London eh immer gibt.

Ich habe geschrieben: die bislang dümmlichste Arbeit dazu. Aber jetzt ist Eliasson getoppt – und zwar nicht in London, sondern in Baden-Baden. Dort wird nämlich im Kunstmuseum (auch bekannt als »Museum Frieder Burda«) gerade ein gehäkeltes Korallenriff gezeigt, um auf – na was wohl? – die dramatische Lage der Korallenriffe aufmerksam zu machen.

Ist das Kunst oder kann das weg?

Damit aber nicht genug: An diesem Werk ist nicht nur eine Einzelperson schuld, sondern es handelt sich um eine Kollektivarbeit. Denn die Künstlerinnen Margaret und Christine Wertheim haben das Museum eine Ausschreibung machen lassen, dass man – sofern man des Häkelns mächtig sei – selbst gehäkelte Korallen nach Baden-Baden schicken solle, damit das Häkelriff noch größer und noch entsetzlich viel hässlicher dort zu sehen sein würde, als hätten es die Künstlerinnen ganz allein geklöppelt. 32.000 Einsendungen! Da lacht die Koralle!

Und, Leserinnen und Leser, nein, ihr liegt falsch, wenn ihr denkt, das habe sich eine sinnsuchende Rentnerinneninitiative zur Selbsterfahrung in Pandemiezeiten ausgedacht: Das ist ganz große wichtige Museumskunst, Udo Kittelmann heißt der Direktor da in Baden-Baden. Und der ist das, was Elíasson in der Großkunst ist – also Großkurator, internäschnäl, zuvor Direktor der Berliner Nationalgalerie.

»Aus Adornos Kulturindustrie ist eine Ridikülisierungsindustrie geworden.«

Harald Welzer

Kreuzfahrten sind wichtiger als Korallen

Ist schon toll, wie da die Kunstmenschen Bewusstsein schaffen über das, was jeder und jede eh schon weiß. Dass die Natur gerade schwer zerstört wird. Die wird aber, und jetzt kommt die Überraschung, bei vollem Bewusstsein zerstört, gar nicht aus Mangel an Information! Echt jetzt? Greenpeace hatte 2021 sein 50. Jubiläum, die Studie »Die Grenzen des Wachstums« wird dieses Jahr ein halbes Jahrhundert alt. Diverse Klimabündnisse gehen in das vierte Jahrzehnt ihres Bestehens, und man muss schon die Zeit seit dem Mauerfall im Dauerzustand kompletter geistiger Absenz verbracht haben, wenn man glaubt, mit der Arktis und den Korallen sei alles noch ganz knusper.

Nach all diesen Jahrzehnten der erfolgreichen Bewusstseinsbildung fliegen asoziale Milliardäre ins All, um dem Tourismus und dem Imperialismus neue Märkte zu erschließen und brettern tschechische Bauunternehmer mit 416 km/h über die A2, weil die Grünen gleich genickt haben, als Christian Lindner in den Sondierungsverhandlungen gesagt hat, das ginge nun aber nicht mit dem Tempolimit, da müsse das Klima jetzt mal zurückstehen. Und die Koralle.

Bugatti-Idioten und Raketenmänner

Ich meine, die Koralle! Ist es nun eigentlich schlimmer, dass eine Kreuzfahrtwerft in Meck-Pomm pleitegeht oder dass die Koralle stirbt? Für die Koralle gibt es ja zuständigkeitshalber die häkelnden Künstlerinnen, aber für die Kreuzfahrten nur den Markt, und der muss auch in Zeiten von Klimawandel und Korallensterben wachsen, sonst haben wir einfach nicht die Kohle, über den Zustand der Welt Bewusstsein zu schaffen, den die Kreuzfahrer und Bugatti-Idioten und Raketenmänner und alle anderen bei vollem Bewusstsein anrichten.

Was zeigt uns das alles? Dass es eine ganz große, wirklich sehr große Koalition derjenigen gibt, die Klimawandel und Naturzerstörung einfach lächerlich finden, weshalb man dazu so einen unernsten Mist wie in London und Baden-Baden und anderswo veranstalten kann. Adornos Wort von der Kulturindustrie kommt da gar nicht ran, die ist heute eine Ridikülisierungsindustrie geworden, die die Notwendigkeit von Handeln in das folgenlose Simulieren von Bewusstsein transformiert und den Leuten suggeriert, es habe sich schon etwas verändert, wenn sie glauben, über irgendetwas Bescheid zu wissen.

Dummheit ist spätestens seit dem Neolithikum ein konstantes Phänomen der Menschheitsgeschichte, aber mit den Häkelkorallen hat das Kunstmuseum Baden-Baden eine neue Benchmark gesetzt. Dagegen waren die umhäkelten Klorollen im Heckfenster von Familienautos, auch eine große Kollektivarbeit, noch Avantgarde.

Mich macht so etwas einfach fertig.

Die Korallen-Ausstellung im Kunstmuseum in Baden-Baden läuft noch bis zum 26. Juni 2022.

Dieser Beitrag ist im März 2022 in taz FUTURZWEI N°20 erschienen.