Kuhmilch ist die perfekte Nahrung –für ein Kalb. Über die Milchpolitik empören sich viele Menschen: Warum uns Milch nicht kalt lässt
Fremd und befremdlich
Katrin Seddig
Milch ist ein Produkt, dem kaum einer gleichgültig gegenübersteht. Das liegt wohl daran, dass unsere erste Speise auf dieser Welt Milch ist. Milch ist das Süßeste, Wichtigste, uns als allererstes süchtig Machende auf dieser Welt. Es ist verbunden mit Liebe, mit Wärme und Nähe. Wir wollten sie, wir sehnten uns danach, wir bekamen schlimme Weinkrämpfe, wenn sie nicht sofort, sofort! verfügbar war. Die Milch unserer Mutter.
Auch in meiner Kindheit gab es bereits einen Ersatz für die Muttermilch, und es wurde den Frauen eingeredet, dass die eigene Milch nicht ausreichen würde. Deshalb wurde ich nach ein paar Wochen ausschließlich mit Pulvermilch von meiner Krippenerzieherin aufgezogen. Heute erklärt man den Frauen wieder, dass die eigene Milch für das eigene Kind das Beste wäre, dass sogar die eigene Milch speziell für das eigene Kind konzipiert wäre, dass sich also jede Muttermilch von einer anderen Muttermilch unterscheide.
Was für Menschenkinder gilt, gilt lange nicht für Kuhkinder. Die Kuhkinder dürfen sich nur wenige Tage an der Milch ihrer Mutter laben, die Kuhmilch ist nämlich nicht für das Kalb bestimmt, sondern für den Menschen. Wie sich das Kalb fühlt, wenn es von der Mutter weggerissen wird, wie sich die Kuhmutter fühlt, wenn es für immer von seinem Kind getrennt wird, das lässt uns alle relativ kalt.
Wir wollen es eigentlich jetzt gerade eigentlich auch gar nicht in einer Kolumne lesen. Und damit die Kuh immer weiter Milch für Menschen in ihren Eutern produziert, wird sie zwei bis drei Monaten nach der Kalbung gleich wieder schwanger gemacht.
Veganer, die, soweit ich das auch in meinem eigenen Umfeld überblicke, ziemlich mit Häme und Hass überschüttet werden, sind die einzigen, die sich der moralischen Seite unseres Milchkonsums stellen. Milch ist perfekte Nahrung – für ein Kalb. Moralisch empört sind aber dennoch viele Menschen im Moment, über die Milchpolitik. Es gibt gerade einen harten Preiskampf.
Milch wurde immer mal teurer, mal billiger und im Moment wird sie billiger, vielleicht auch, weil die Milchquoten abgeschafft worden sind, und plötzlich hat man zu viel Milch, mehr, als gebraucht wird, und dann verkauft nur der seine Milch, der sie am billigsten anbietet. Am Ende wird die Milch billiger verkauft, als die Produktion den Bauern kostet.
Unternehmerisches Risiko, sagen die einen, die der Landwirtschaft schon lange die Subventionen neiden. Selber Schuld, sagen die anderen, die nur Milch von Bauern kaufen, die für Bio-Verbände mit strengen Richtlinien produzieren. Hier ist immer noch die Nachfrage größer und die Preise sind stabiler. Und mir egal, könnten die Veganer sagen, die Milch in jeder Form ablehnen. 100 Millionen Euro sollen die Milchbauern nun kriegen, verspricht Bundesagrarminister Christian Schmidt.
Das eine, die Milchkrise, hat was mit Marktregulierung, mit dem Wirtschaftssystem Kapitalismus zu tun. Das Andere, die Subventionierung , ist eine Krücke, um die Landwirtschaft irgendwie zu erhalten, weil wir das hier wollen, in Deutschland, Landwirtschaft. Wir wollen Landwirte haben. So verstehe ich das, denn ansonsten müssten wir die Milch woanders einkaufen. Circa zwei Prozent der Erwerbstätigen in der BRD arbeiten sowieso nur noch in der Landwirtschaft. Christian Meyer, Agrarminister aus Niedersachsen, findet eine Subventionierung nicht den richtigen Weg. Er meint, die Bauern müssten wieder weniger Milch produzieren, damit die Milchpreise sich erholen.
Aber, wer ist denn nun Schuld, an den Preisen? Haben tatsächlich die Bauern nach Wegfall der Quote angefangen, mehr Milch zu produzieren und sich selbst die Preise ruiniert? Ja, aber das ist doch das System. Andere verdrängen, besser, größer, schneller sein. Oder nicht? Ich esse übrigens noch Käse. Mit nicht so gutem Gewissen.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
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