Kühne+Nagel und die NS-Zeit : Crowdfunding gegen das Vergessen
Kaufen Sie mit uns ein Stück des Bremer Weserufers – für einen Ort, der die "Arisierungs"-Geschäfte von Kühne+Nagel im "Dritten Reich" anmahnt.
(english version) Wer mitbietet, kann Geschichte schreiben: Die taz sammelt von ihren LeserInnen und GenossInnen Geld, um vier Quadratmeter Weserufer zu kaufen. Denn selten war die Gelegenheit so günstig: Der Bremer Senat will 1.000 Quadratmeter à 900 Euro an den Logistik-Riesen Kühne+Nagel verkaufen, der auf der Fläche seinen Stammsitz erweitern will.
Bei diesem Schnäppchen-Preis kann sogar die taz mitbieten – falls ihr ihre LeserInnen entsprechend helfen. Wir brauchen auch nur vier Quadratmeter der Gesamtfläche. Aber die sollen es in sich haben: Als Grundfläche für ein Mahnmal, das an die reichhaltigen Arisierungsgewinne von Kühne+Nagel erinnert.
Die Spedition sicherte sich das Monopol für den Abtransport des gesamten Besitzes der aus Westeuropa deportierten Juden. Heute will sie davon freilich nicht mehr viel wissen.
Derzeit ist das Gelände am Weserufer noch ein öffentlicher Platz mit alten Bäumen. Um ein Eckchen davon für ein Denkmal zu sichern, haben wir dem Bremer Senat bereits ein Kaufangebot gemacht: Mit 2.000 Euro pro Quadratmeter bieten wir mehr als das Doppete dessen, was Kühne+Nagel po Quadratmeter zahlen soll. Dennoch will der Senat den Vorzugs-Verkauf an Kühne+Nagel schnell unter Dach und Fach bringen und behauptet, das Grundstücke könne "nur en bloc" verkauft werden. Kühne+Nagel bietet allein in Bremen weit über 1.000 Arbeitsplätze – ist also ein Investor, der gepflegt sein will.
Die taz hält dennoch an ihrem Vorhaben fest, ein "Arisierungs"-Mahnmal zu errichten - es wäre das erste überhaupt, das explizit an die wirtschaftliche Seite des Holocaust gemahnt, des "größten Massenraubmords der Geschichte", wie Dieter Graumann vom Zentalrat der Juden in Deutschland es auf den Punkt bringt. Deswegen führen wir unseren Anfang Januar gestarteten Ideen-Wettbewerb für ein "Arisierungs"-Mahnmal weiter und werden anschließend konkrete Enwürfe beauftragen: Erinnerung darf nicht obsolet werden, nur weil die Stadt Bremen den Konflik mit einem Investor scheut.
2015 feiert Kühne+Nagel seinen 125. Geburtstag, aufwändiges History-Marketing voller nostalgischer Filmchen und Fotos inklusive. Bürgermeister und Senatoren gratulierten artig, auch Hamburg hielt Klaus-Michael Kühne sein goldenes Buch hin. Die taz hat das Jubiläumsjahr von Anfang an kritisch begleitet: Sie hat Historiker und Archive konsultiert und im Holocaust Memorial Centre in Montreal die Verträge gefunden, mit denen Kühne+Nagel 1933 seinen jüdischen Teilhaber ausbootete.
Zahlreiche Medien stiegen auf die Berichterstattung ein. Das Unternehmen machte erstmals minimale Eingeständnisse. Im Kern beharrt Kühne+Nagel jedoch hartnäckig darauf, „in dunkler Zeit“ selbst das Opfer „großer wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ gewesen zu sein. Das Gehalt des Geschäftsführers Alfred Kühne wuchs dennoch enorm.
Warum hält die taz ein Mahnmal speziell für Kühne+Nagel für notwendig? Bei Kühne+Nagel geht es nicht darum, wie sich irgendein Mittelständler durch die NS-Zeit wurschtelte – sondern um ein Unternehmen, das fast 72.000 jüdische Wohnungen und Häuser ausräumte und damit unter anderem die „Juden-Auktionen“ beschickte.
Frank Bajohr, Leiter des Zentrums für Holocaust-Studien am Münchner Institut für Zeitgeschichte, attestiert Kühne+Nagel eine „relative Nähe zum Massenmord“, die Spedition habe „eine Form von Leichenfledderei“ betrieben. Während des Zweiten Weltkriegs avancierte Kühne +Nagel zudem zum maßgeblichen Logistikpartner der Wehrmacht – was sie für die Bundeswehr noch immer ist.
Das Unternehmen selbst, in dem mit Klaus-Michael Kühne noch immer der Sohn des damaligen Inhabers das Sagen hat, will sich weder erinnern – noch erinnern lassen: Anfragen von Historikern werden abgewiegelt, das Firmenarchiv ist für Fachleute tabu. Sämtliche Unterlagen von damals seien verbrannt, lautet die stereotype Auskunft – die längst widerlegt ist.
Höchste Zeit also für einen gut sichtbaren Erinnerungsort.
Höchste Zeit für vier Quadratmeter Wahrheit.
Höchste Zeit, die taz bei ihrem Crowdfunding gegen die Vergesslichkeit zu unterstützen.
HENNING BLEYL, Redakteur taz.nord