Kuckensema : „The Mars Canon“ von Kazama Shiori zeigt die Liebe in Tokio
Das japanische Kino ist seit einigen Jahren mit seinen hochstilisierten und originellen Genrefilmen international erfolgreich. Mit dem Zeichentrickfilm „Das wandelnde Schloss“ von Hayao Miyazaki und dem Handy-Horrorstreifen „The Call“ von Takeshi Miike laufen zurzeit gleich zwei japanische Kassenerfolge in den Kinos von Bremen. Und der Titel „The Mars Canon“ würde ja auch gut zu einem Mangafilm oder einem Science-Fiction-Abenteuer voller Special Effects passen. Aber es gibt auch eine andere filmische Stilrichtung in Japan: Neben Kurosawa und Takeshi Kitano stehen Ozu und Hirokazu Kore-Eda mit ihren leisen, kontemplativen Werken, die eher auf Festivals und von den Cineasten geschätzt werden. Die Filmemacherin Kazama Shiori steht eindeutig in dieser Tradition und der Titel ihres neuen Films ist nicht etwa eine Anspielung auf den Science-Fiction-Klassiker „Die Mars-Chroniken“ von Ray Bradbury, sondern bezieht sich auf die astrologischen Bedeutungsebenen des Himmelskörpers wie Sex, Liebe und Kampf sowie auf den Kanon in der Musik mit seinen verschiedenen Stimmen, die um ein Thema kreisen, aber nie synchron zu ihm zusammenfinden.
So weiß etwa die 29 Jahre alte Kinuko, dass ihre Liebesbeziehung zum 43-jährigen Salaryman Kohei niemals über die heimlichen Treffen der beiden hinausgehen wird. Jeden Dienstag treffen sich die beiden heimlich in einem Hotel, aber am nächsten Morgen wacht Kinuko immer alleine auf, denn Kohei ist verheiratet, hat eine Tochter und macht keine Anstalten, sein Leben zu ändern. Eines Tages trifft Kinuko ihre ehemalige Arbeitskollegin Hijiri und deren Freund Manabe, der als eine Art Straßendichter Passanten von ihm verfasste Weissagungen aufschwatzt. Hijiri ist eine junge, für japanische Verhältnisse ungewöhnlich spontane Frau, die sich am liebsten in ihren Schrank zurückzieht und dort Bollywoodmusik hört. Nachdem sie Kinuko getroffen hat, weicht sie nicht mehr von ihrer Seite, zieht in die Nachbarwohnung und pflegt sie hingebungsvoll nach einer schlimmen Erkältung gesund. Langsam wird klar, dass sie sich in Kinuko verliebt hat, und ihr Werben um sie wird immer drängender, während Kinukos Beziehung mit Manabe auf eine Krise zusteuert. Die Geschichte ist altbekannt, und so inszeniert die Filmemacherin sie auch. Da gibt es keine melodramatischen Verwicklungen, keine hochemotionellen Szenen und auch die Frage, wer am Schluss denn nun wen kriegt, ist nicht etwa als dramaturgische Pointe, sondern eher nebenbei und ambivalent beantwortet.
Statt dessen kann man in diesem Film genau beobachten, wie das Alltagsleben im heutigen Japan vonstatten geht. Shiori arbeitet fast ausschließlich mit langen Einstellungen, oft in Totalen und Halbtotalen, so dass der Zuschauer den Blick streifen lassen kann. So bekommt man einen detailreichen Eindruck davon, wie es in dem Fotocopyladen aussieht, in dem Kinuko arbeitet, wie junge Japanerinnen ihre für europäische Augen sehr engen Wohnungen einrichten, wie es in den Hotels, Bars, Fußgängerzonen und Wohnvierteln von Tokio aussieht. Manchmal sind ihr dabei sehr schöne Momente geglückt. So etwa wenn Hijiro und Kinuko nachts auf dem Dach eines Wolkenkratzers auf die Lichter der Stadt hinuntersehen. In solchen Sequenzen hat der Film eine ganz eigene Poesie, die natürlich aus der Situation und dem Ort erwächst. Wilfried Hippen