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Krümmel: Dreifaches Krebsrisiko?

■ Studie weist erhöhtes Risiko für strahlentypische Erkrankungen nach Von Annette Bolz

Spätestens seit Hiroshima ist bekannt, daß atomare Strahlung tödlich und – in großer Entfernung oder geringer Dosierung – zumindest sehr schädlich für Menschen ist. Logisch scheint deshalb, daß auch Atommeiler Erkrankungen hervorrufen, wenn sie undichte Stellen aufweisen wie das Atomkraftwerk Krümmel bei Geesthacht, das seit einem Jahr abgeschaltet ist. Doch Schleswig-Hol–steins Energieminister Claus Möller machte die endgültige Stillegung bislang von einem wissenschaftlichen Gutachten über die Gesundheitsrisiken abhängig.

Diese Studie, die nun am kommenden Sonnabend in Geesthacht vorgestellt werden soll, kommt zu äußerst besorgniserregenden Ergebnissen: Das Risiko, an Leukämie (Blutkrebs) zu erkranken, erhöhe sich im nahen Umfeld des Kernkraftwerks bis auf das Dreifache - Ursache unklar.

Allerdings fand die Arbeitsgruppe um den Bremer Mediziner Eberhard Greiser vom Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin heraus, daß im Umkreis von fünf Kilometern rund um den Reaktor das Risiko für Männer, an strahlentypischen Blutkrebs-Arten zu erkranken, um 175 Prozent erhöht ist. Frauen sind in diesem nahen Umfeld immer noch fast doppelt so stark gefährdet, an den sogenannten chronisch-myeloischen Leukämien zu erkranken.

Auch Menschen, die im weiteren Umland des AKW Krümmel zuhause sind, wurden in der Studie berücksichtigt: In den Gebieten von Hamburg-Harburg, Lüneburg und Lauenburg besteht im Durchschnitt ein um 15 Prozent erhöhtes Risiko, an Blutkrebs zu leiden oder gar zu sterben. Insgesamt haben die Bremer 633 Leukämie-Fälle untersucht, die zwischen 1984 und 1993 im Umkreis von 20 Kilometer um das Kernkraftwerk Krümmel auftraten. Davon fanden sich 51 Fälle im Fünf-Kilometer-Radius um den Atommeiler und immer noch 99 Erkrankte im Umkreis von 20 Kilometern.

Edda Müller, Umweltministerin Schleswig-Holsteins, hatte die Untersuchung in Auftrag gegeben, nachdem Leukämie-Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen im Umfeld des Geesthachter Reaktors bekannt geworden waren. Und obwohl die brisanten Daten der Studie offiziell noch nicht bekannt gegeben wurden, sah sich Müller schon am vergangenen Dienstag veranlaßt, die Bedeutung der Ergebnisse herunterzuspielen. Denn ob die Leukämie-Erkrankungen tatsächlich von der Radioaktivität des Kernkraftwerks Krümmel hervorgerufen würden, könne die Studie nicht nachweisen.

Es fragt sich, auf welchen Beweis die Kieler Ministerien nun noch warten wollen, bis Krümmel endgültig stillgelegt wird.

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